Zeilen und Tage
Abu Dhabi auf, die Abholung erfolgt mit eleganter Routine, nach kaum mehr als einer halben Stunde fährt der Wagen in der tropischen Nacht am Portal des Emirates Palace vor. Die Unterbringung prachtvoll wie für Staatsgäste.
Diese Luxuswelt liefert Ausblicke in eine der Hauptmächte des kommenden Jahrhunderts: Der Neofeudalismus, den manche Soziologen drohend an die Wand malen, ist seit geraumer Zeit reale Gegenwart. Was die Warner nicht sehen, ist, daß die Zukunft der Kohabitation des Neofeudalismus mit den Neosozialismen gehört, die sich infolge der nie mehr beendbaren Wirtschaftskrisen formieren werden.
Nicht ohne ein leises Unbehagen halte ich mich auf der Terrasse der Prunksuite auf. Zu deutlich nimmt man im architektonischen Detail das Ineinander von Pracht und Grobheit wahr: Das allgegenwärtige Ornament entfaltet aufgrund seiner massenhaften Wiederholung eine Aura von Beliebigkeit und Ungenauigkeit.
Um ein Uhr nachts liegt die Temperatur noch bei über dreißig Grad. Vom Strand her sachte Brandungsgeräusche. Lästig die psychodelische Musik, die andauernd aus der labyrinthförmigen Tücher-Kojen-Installation auf der Meeresseite des Hotels aufsteigt.
2.-5. November, Abu Dhabi
So wie sich in mittelalterlichen Versromanen alles um die »Freude des Hofes« dreht, so zelebrieren hier die Reichen und Schönen von heute sich selbst in einem nicht-endenden Fest. Ein wenig von ihrer überschüssigen Sensibilität lassen sie auf die Kunstwerke tropfen, die in der Messe für die müßige Elite präsentiert werden.
Empathie und Laune kommen im Kunstsystem auf dasselbe hinaus. Hier wird der Künstler wieder, was er am Ende des Mittelalters war, ein wenn auch stolzer Diener der hohen Herren, die heute zwar nicht als Auftraggeber, doch als Sammler über der Szene schweben.
Fabrice erklärt noch einmal die Spielregel für den Aufenthalt an diesem Ort: Hiersein und leuchten. Das wird das einzige Mal in meinem Leben gewesen sein, daß bloße Anwesenheit wie eine inkommensurable Leistung gewürdigt wurde.
Auch hier tut die antizyklische Lektüre die gewünschte Wirkung: Mit Karl Eibls jüngster Publikation Kultur als Zwischenwelt ist dafür gesorgt, daß der Gast nicht allzu tief in das sublime far niente der Luxuswelt versinkt.
Eibl leitet den Schlüsselausdruck seiner Kulturtheorie: »Zwischenwelt« von dem Sprachwissenschaftler Leo Weisgerber und dem Verhaltensforscher Nikolaas Tinbergen her: Demnach wäre die dritte Funktion der Sprache, nach Appell und Kundgabe, die »Darstellung« oder »Beschreibung« von Sachverhalten, dafür verantwortlich, daß Sprecher Zugang zu distanziertem, nicht-involviertem Verhalten gewinnen. Durch Suspension des Handelns gelangen wir in die Sphäre der kulturellen Fabrikationen. Zwischenwelten sind symbolbasierte Interfaces zwischen Nervensystemen und Umwelten.
Als das rituelle Tier ist der Mensch zugleich das improvisierende. Er ist der Affe, der seine Hand aus der asiatischen Affenfalle wieder herauszieht, wenn er beim Spiel mit der verfänglichen Situation das Loslassen entdeckt. Starke Inkulturationen bauen Spielräume für ad-hoc-Verhalten ab, während schwache sie erweitern – bis an die Grenze der »Barbarei«, die nichts anderes bedeutet als die Regression auf das hilflose ad hoc der Gewalt. Man bedenkt zu selten, daß Gewaltanwendung bei Privaten eine Form der Improvisation ist.
Ohne Zweifel stellt das in wenigen Jahrzehnten aus dem Boden geschossene Phänomen der Arabischen Emirate die entschlossenste Anwendung des verhaltensbiologischen Prinzips »imitation of the fittest« dar. Sie bezieht sich hier praktisch auf alle Bereiche, in denen Fitness-Nachahmung sinnvoll betrieben werden kann – ausgenommen die militärische Komponente, die in den Emiraten diskret gehandhabt wird. Hier beschränkt man sich darauf, die Soft-Power-Komponenten der Ersten Welt elanvoll zu kopieren. Im Rausch der über Nacht gewonnenen Ebenbürtigkeit übernimmt man aus der nicht-arabischen Kultur die erlesensten Muster – vom Louvre über das Guggenheim bis zur NYU.
Das implizite Programm aller Aufklärung lautet: Wo Umgebung (Unbekanntes) war, soll Umwelt (Erschlossenes) werden. (Eibl,S. 147) Im Philosophenjargon: Nach Transzendenz soll Immanenz entstehen.
Was man Selektion nennt, ist in der Sache ein Test auf Passungen. In dem wird festgestellt, ob X mit Y zusammensein kann oder nicht. Im negativen Fall scheidet die X-Y-Verbindung aus der Kette der Weitergaben aus, im positiven wird sie
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