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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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Porzellanzahnlächeln an. Im Job hatte dieses Lächeln immer den gewünschten Erfolg.
    Aber Pud schrie lauter.
    Verlegen sah Lou sich um und entschuldigte sich bei allen, die seinen Blick erwiderten, vor allem bei dem selbstzufriedenen Vater, der ein kleines Baby vor sich auf dem Bauch trug und zwei weitere Kinder an den Händen hielt. Lou grummelte frustriert, wandte dem Mann den Rücken zu und versuchte, das Horrorgebrüll damit zu beenden, dass er den Buggy mit raschen Bewegungen vor- und zurückschob und dabei absichtlich dem Teenager in die Hacken fuhr, dem er das ganze Dilemma zu verdanken hatte. Mindestens zehn Mal steckte er Pud den Schnuller wieder in den Mund. Er legte ihm die Hand über die Augen, in der Hoffnung, der Kleine würde vielleicht wieder einschlafen, wenn es dunkel war. Nichts funktionierte. Puds kleiner Körper wand sich und versuchte, aus dem Sicherheitsgurt auszubrechen wie der Hulk aus seinen Kleidern. Inzwischen klang er wie eine Katze, die am Schwanz kopfüber ins Wasser getaucht und dann erdrosselt wird. Verzweifelt wühlte Lou in der Babytasche nach den Spielsachen, aber als er sie seinem Sohn anbot, schleuderte der sie nur voller Entrüstung auf den Boden.
    Der selbstzufriedene Familienvater mit dem Baby auf dem Bauch bückte sich und half Lou beim Einsammeln. Lou nahm die Spielsachen entgegen, ohne den Mann anzusehen, und rang sich ein gegrunztes Dankeschön ab. Nachdem die meisten Gegenstände aus der Babytasche ein zweites Mal auf dem Boden gelandet waren, beschloss er, das kleine Brüllmonster freizulassen. Eine ganze Weile kämpfte er mit dem vertrackten Verschluss – was Puds Geschrei nur verstärkte und noch mehr Gestarre auf sich zog –, und gerade als ein besorgter Mensch den Sozialdienst rufen wollte, hatte er seinen Sohn endlich befreit. Allerdings hörte Pud nun keineswegs auf zu heulen, nein, {307 } er machte munter weiter, bis ihm der Rotz aus der Nase blubberte und sein Gesicht so rot war wie eine Himbeere.
    Lou zeigte seinem Sohn Bäume, Hunde, Kinder, Flugzeuge, Vögel, Weihnachtsbäume, Geschenke, Elfen – bewegliche Dinge, unbewegliche Dinge und überhaupt alles, was es zu sehen gab, aber Pud ließ sich nicht beirren, sondern schrie weiter.
    Zehn Minuten später kam Ruth angerannt, Lucy im Schlepptau.
    »Was ist denn los?«
    »Er ist aufgewacht, kaum dass ihr weg wart, und jetzt hört er nicht mehr auf zu brüllen«, erklärte Lou. Er schwitzte.
    Pud warf einen Blick auf Ruth, streckte ihr die Hände entgegen und hüpfte förmlich aus Lous Armen. Als wäre ein Schalter umgelegt worden, verstummte das Geschrei, Pud klatschte in die Hände, sein Gesicht nahm wieder eine normale Farbe an, er plapperte fröhlich, strahlte seine Mutter an, spielte mit ihrer Halskette und benahm sich insgesamt, als hätte es so etwas wie das Horrorgebrüll nie gegeben. Lou war sicher, dass Pud ihn außerdem frech angrinste, wenn gerade niemand hinschaute.
     
     
    Der andere Lou war unterdessen ganz in seinem Element. Inzwischen waren sie mit dem Boot unterwegs zum Startbereich nördlich von Ireland’s Eye, und er beobachtete gespannt, wie die Küste sich immer weiter entfernte. Vom Leuchtturm am Ende des Piers winkten Freunde und Familienmitglieder, viele mit Ferngläsern in der Hand.
    Dem Meer wohnte ein Zauber inne. Menschen fühlten sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen, wollten am Meer leben, im Meer schwimmen, spielen, es anschauen. {308 } Das Meer war ein lebendiges Wesen, so unberechenbar wie ein großer Theaterschauspieler: Es konnte ruhig und freundlich sein, konnte sein Publikum mit offenen Armen willkommen heißen und schon im nächsten Moment sein stürmisches Temperament unter Beweis stellen, Menschen herumschleudern, als wollte es sie hinauswerfen, konnte Küsten attackieren und ganze Inseln zerstören. Es hatte verspielte Seiten, es mochte die Menschen, schaukelte Kinder, kippte Luftmatratzen, brachte Windsurfer aus dem Gleichgewicht, ging aber gelegentlich auch Seeleuten helfend zur Hand – alles mit einem verschmitzten Kichern. In voller Fahrt durch die Wogen zu preschen, den Wind in den Haaren, den Regen oder die helle Sonne im Gesicht – für Lou gab es nichts, was sich mit diesem Gefühl messen konnte. Es war lange her, dass er zum letzten Mal gesegelt war. Natürlich hatten er und Ruth oft die Ferien auf der Yacht von Freunden verbracht, aber er hatte sich eine Ewigkeit nicht mehr an dieser Art Teamsport beteiligt. Nun freute er sich unbändig auf die

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