Zeit deines Lebens
Trance.
»Ich hab jetzt keine Zeit, Alison, echt nicht. Ich müsste eigentlich schon längst weg sein, ein Meeting, ein Termin. Wo ist mein Schlüssel?« Er wühlte in den Taschen seines Mantels, der an der Garderobe in der Ecke hing.
»Ihre Schwester hat heute Vormittag schon dreimal angerufen«, zischte Alison, die Hand auf den Telefonhörer gepresst, den sie von sich weghielt, als wäre er vergiftet. »So langsam glaubt sie mir nicht mehr, dass ich ihre Nachrichten wirklich weitergebe.«
»Nachrichten?«, wiederholte Lou spöttisch. »Ich kann mich an keine Nachrichten erinnern.«
Alison gab einen Paniklaut von sich und hielt den Hörer in die Luft, noch weiter von Lou entfernt. »Wagen Sie nicht, mir das anzutun, schieben Sie nicht
mir
die Schuld {73 } in die Schuhe! Auf Ihrem Schreibtisch liegen allein drei Nachrichten von heute Vormittag! Außerdem hasst Ihre Familie mich sowieso schon.«
»Das ist verständlich, oder nicht?« Lou stellte sich dicht vor sie und drängte sie gegen ihren Schreibtisch. Mit einem Blick, der ihr durch und durch ging, ließ er seine Finger langsam ihren Arm hinaufgleiten, bis hoch zu der Hand mit dem Telefon, und nahm es ihr ab. Als er hinter sich ein Hüsteln hörte, trat er hastig einen Schritt von ihr weg und hielt sich den Hörer ans Ohr. Demonstrativ locker drehte er sich dann um – als ginge ihn das alles nichts an – und sah nach, wer sie unterbrochen hatte.
Es war Gabe. Mitsamt seinem quietschenden Postwagen, der diesmal aber anscheinend nicht rechtzeitig auf ihn aufmerksam gemacht
hatte.
»Ja, Marcia«, sagte Lou ins Telefon. »Ja, natürlich habe ich deine zehntausend Nachrichten bekommen. Alison hat sie mir freundlicherweise allesamt weitergeleitet.« Dabei lächelte er gewinnend zu Alison hinüber, die ihm aber nur die Zunge herausstreckte und dann Gabe in Lous Büro führte. Vorsichtshalber reckte Lou den Hals, um die beiden im Auge zu behalten.
Gabe sah sich in dem riesigen Raum um wie ein Kind im Zoo, nahm das große Badezimmer rechterhand zur Kenntnis, warf durch die riesigen Panoramafenster einen Blick über die Stadt, betrachtete den massigen Eichenholzschreibtisch, der weit mehr Platz einnahm, als notwendig gewesen wäre, die Couch in der linken Ecke, den Konferenztisch, an dem bequem zehn Leute Platz fanden, und den Fünfzig-Zoll-Plasmafernseher an der Wand. In Dublin gab es Apartments, die kleiner waren als dieser Raum.
Gabe inspizierte alles mit seltsam unergründlichem {74 } Gesicht, und als ihre Blicke sich trafen, lächelte er ebenso seltsam und unergründlich. Lou konnte nichts von der Bewunderung in seinen Augen entdecken, die er sich erhofft hatte, andererseits jedoch auch keine Spur von Neid, eher etwas Amüsiertes. Was auch immer – es machte jedenfalls den Stolz und die Befriedigung, die Lou zu empfinden erwartet hatte, umgehend zunichte. Zwar schien das Lächeln für Lou ganz allein bestimmt zu sein, aber er war absolut nicht sicher, ob Gabe ihn nicht veräppelte. Mit einem Mangel an Selbstvertrauen, den Lou ganz und gar nicht gewohnt war, nickte er Gabe zu.
Unterdessen setzte Marcia am Telefon ihr Geplapper fort, und Lou hatte das Gefühl, dass sein Kopf immer heißer wurde.
»Lou? Lou, hörst du mir überhaupt zu?«, fragte sie mit ihrer sanften Stimme.
»Aber natürlich, Marcia, ich habe nur jetzt leider keine Zeit zum Plaudern, weil ich dringend wegmuss – zwei Termine, beide nicht hier«, erklärte er und fügte nach einer kurzen Pause ein Lachen hinzu, um die Ablehnung zu entschärfen.
»Ja, ich weiß, dass du viel zu tun hast«, erwiderte sie, und ohne im Geringsten vorwurfsvoll zu klingen, fügte sie hinzu: »Wenn wir dich gelegentlich mal sonntags zu Gesicht bekämen, würde ich dich bestimmt nicht so oft bei der Arbeit belästigen.«
»Ach so, darum geht es also.« Er verdrehte die Augen und wartete auf die übliche Tirade.
»Nein, das meine ich überhaupt nicht, bitte hör mir einfach zu. Lou, ich brauche ehrlich deine Hilfe. Normalerweise würde ich dich damit nicht nerven, aber Rick und ich gehen die Scheidungspapiere durch und … « Sie seufzte. {75 } »Na ja, ich möchte es gern richtig machen und kriege es allein nicht hin.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Er war nicht sicher, was sie konnte oder nicht konnte, denn er hatte keine Ahnung, wovon sie da redete. Sein Stress wuchs von Minute zu Minute, und zu allem Überfluss wanderte Gabe immer noch in seinem Büro umher, was ihn total ablenkte.
Er dehnte die
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