Zeit deines Lebens
drückte das Sandwich platt und zerteilte es diagonal mit einem scharfen Messer. Dann marschierte sie durch die Küche, knallte Schranktüren und riss mit heftigen Bewegungen Alufolie ab.
»Also, was ist denn los?«
»Was los ist? Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit, es will auch
gelebt
werden! Wir müssen endlich wieder anfangen, Dinge gemeinsam zu tun, und das bedeutet, dass du auch Dinge für mich tust, selbst wenn du nicht unbedingt {116 } scharf darauf bist, und umgekehrt. Welchen Sinn hat das Ganze sonst?«
»Was meinst du denn bitte mit umgekehrt – wann verlange ich denn jemals von dir, etwas zu tun, was du nicht willst?«
»Lou«, begann sie zähneknirschend. »Die Leute, die zum Essen kommen, sind
deine
Familie, nicht meine.«
»Dann sag ihnen ab! Mich stört das nicht.«
»Du hast Verantwortung deiner Familie gegenüber.«
»Aber ich habe noch viel mehr Verantwortung meiner Arbeit gegenüber, denn die Familie kann mich nicht feuern, wenn ich nicht zu einem blöden Essen erscheine, oder?«
»Doch, das kann sie, Lou«, entgegnete sie leise. »Man nennt das nur nicht feuern.«
»Soll das vielleicht eine Drohung sein?« Er senkte die Stimme. »Du kannst mir solche Bemerkungen nicht einfach an den Kopf werfen, Ruth, das ist nicht fair.«
Ruth klappte eine Barbie-Lunchbox auf, stellte sie unsanft auf die Küchentheke, warf das Sandwich, ein paar Ananasscheiben und Kidneybohnen in einer Tupperdose hinein, knallte eine Barbie-Serviette obendrauf und schloss schwungvoll den Deckel. Trotz der ziemlich unsanften Behandlung hörte man von Barbie keinen Protest.
Schweigend starrte Ruth ihren Mann an und ließ ihren Blick für sich sprechen.
»Okay, gut, ich versuche, rechtzeitig da zu sein«, lenkte Lou ein – um Ruth einen Gefallen zu tun und gleichzeitig, um endlich aus dem Haus zu kommen. Dabei meinte er kein einziges Wort ernst. Als sie daraufhin den Blick nicht abwandte, korrigierte er sich und verstieg sich sogar zu dem Versprechen: »Ich werde da sein.«
Um acht traf Lou bei der Arbeit ein, eine Stunde früher als seine Kollegen, denn er legte Wert darauf, als Erster da zu sein – dann fühlte er sich wichtig und war den anderen einen Schritt voraus. Er wanderte in der engen Aufzugskabine auf und ab und wünschte sich, sie wäre immer so leer, er genoss es, nirgends anhalten zu müssen und direkt ins vierzehnte Stockwerk fahren zu können. Nachdenklich stieg er dort aus und trat auf den stillen Korridor. Er konnte noch die verschiedenen Reinigungsprodukte riechen, die gestern Abend von der Putzkolonne benutzt worden waren. Teppichschaum, Möbelpolitur und Lufterfrischer – alle diese Düfte hingen noch in den Gängen, unberührt von Morgenkaffee und Körpergeruch. Draußen vor den glänzenden Fenstern war es um diese frühe Stunde im Frühwinter noch stockdunkel, und die Scheiben wirkten kalt und hart. Der Wind fegte um das Gebäude, und Lou freute sich darauf, aus den gespenstisch leeren Korridoren in sein Büro zu kommen und dort seine Morgenroutine zu beginnen.
Doch auf dem Weg dorthin blieb er plötzlich stehen wie angewurzelt. Er sah, dass Alisons Schreibtisch leer war, wie immer um diese Zeit. Aber die Tür zu seinem Büro stand offen, und es brannte Licht. Energisch marschierte er darauf zu, und sein Herz begann vor Wut heftig zu pochen, als er Gabe entdeckte, der ganz selbstverständlich in dem Raum umherging. Mit einem leisen Aufschrei rannte Lou los und schlug mit der Faust so energisch gegen die Tür, dass sie mit einem Ruck aufschwang. Er atmete tief ein, um seinem Ärger mit Gebrüll Luft zu machen, doch ehe ein Wort über seine Lippen kam, hörte er hinter der Tür eine Stimme.
»Meine Güte, wer ist das denn?«, sagte sein Chef erschrocken.
»Oh, Mr Patterson, tut mir leid«, erwiderte Lou atemlos und konnte gerade noch verhindern, dass ihm die Tür beim Zurückschwingen ins Gesicht schlug. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind.« Er rieb sich die Hand, die von dem Schlag ganz schön weh tat und jetzt zu pochen begann.
»Lou!«, rief Mr Patterson erschrocken und brachte sich, so rasch er konnte, ebenfalls vor der schwingenden Tür in Sicherheit. »Und nennen Sie mich bitte Laurence, das sage ich Ihnen doch schon die ganze Zeit. Sie sind ja heute so richtig … so richtig energiegeladen, was?« Er sah aus, als hätte er sich noch nicht ganz von seinem Schock erholt.
»Guten Morgen, Sir.« Unsicher blickte Lou von Mr Patterson zu Gabe. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie
Weitere Kostenlose Bücher