Zeit der Eisblueten
Sie sich vorher um meine Hände kümmern könnten.«
Ihre Augen trafen sich kurz, dann entfernte Hogg schnell die Stoffstreifen.
»Herrje, herrje, herrje, herrje, herrje«, murmelte er, »gar nicht schön, gar nicht schön.« Beide musterten Dafydds Hände, als wären es zwei rohe Scheiben Leber in einem Schlachterladen. Hogg betastete die dunklen, wässrigen Blasen und schüttelte den Kopf.
»Was ist mit dem da?«, fragte Dafydd alarmiert und wackelte mit seinem linken Ringfinger, um Hoggs Aufmerksamkeit auf dessen geschwärzte Spitze zu lenken.
»Ja, ich seh’s, alter Knabe. Sehr übel, sehr übel. In der Tat sehr übel.« Hogg rieb sich das Kinn. »Trockene Nekrose. Ich fürchte, wir sollten das Ding besser abnehmen.«
Dafydd trat einen Schritt zurück. »Doch sicher nicht den ganzen Finger.«
»Bloß ein kleines Stückchen, bloß ein kleines Stückchen.« Hogg tätschelte ihm beruhigend den Arm. »Bloß die Spitze bis zum Gelenk. Wir können es jetzt machen. Je schneller, desto besser. Es geht ganz schnell.« Er klingelte nach einer Schwester, die ihm assistieren sollte. Veronica erschien und wurde wieder fortgeschickt, damit sie die erforderlichen Gerätschaften holte.
Dafydd sah teilnahmslos zu, wie seine Fingerspitze mit einem Skalpell rasch ringsum abgetrennt und der Knochen mit einer chirurgischen Zange abgenommen wurde. Dann wurde die Wunde mit einem Teil der überstehenden Haut fein säuberlich vernäht. Hogg war ein Meister darin, er hatte derartige Amputationen im Laufe seiner Tätigkeit ziemlich häufig durchgeführt. Dafydd blickte auf das brandige Stück Fleisch, das eben noch zu seinem Finger gehört hatte und jetzt erbarmungswürdig in einer Stahlschale lag. Schweigend verabschiedete er sich davon. Er wusste, was der Verlust des Fingergliedes bedeutete, und hätte am Boden zerstört sein müssen, aber seine Gitarre war gestohlen worden und gehörte einer Vergangenheit an, die er nicht mehr als real empfand. Seine Arbeit als Chirurg würde nicht sonderlich darunter leiden, da er Rechtshänder war.
»Der Rest ist doch wohl hoffentlich in Ordnung«, sagte er.
»Die anderen sind prima, alter Knabe. Keine Sorge, keine Sorge. Sie sehen aus, als müssten Sie sich dringend ein wenig ausruhen. Ich möchte Sie über Ian befragen, aber wir können später über ihn sprechen.« Er stach die Blasen auf, verband Dafydd beide Hände und spritzte ihm ein Antibiotikum. »Veronica, würden Sie bitte Dr. Woodruff mit meinem Auto nach Hause fahren?«
»Gleich«, sagte Dafydd zu ihr. »Darf ich Sie in ein paar Minuten rufen?«
Sobald sie wieder allein waren, schauten die beiden Männer einander an. Dafydd verspürte eine unerträgliche Erschöpfung, aber dies war die letzte Aufgabe, die er noch erledigen musste, bevor er in seine purpurne Grotte verschwinden, sich die Decke über den Kopf ziehen und in den kommenden vierundzwanzig Stunden jedes weitere Gespräch verweigern konnte.
»Andrew, könnten Sie bitte den Umschlag aus meiner linken Manteltasche hervorziehen und den Brief lesen«, bat Dafydd.
Hogg wirkte verstört, auf der Hut, aber er tat wie ihm geheißen. Er nahm den Brief, öffnete und las ihn und erbleichte.
»O nein, Sheila hat nie … Es war Ian«, stieß er hervor und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Kommen Sie, Andrew. Ich glaube, Sie wissen es besser. Sheila hat Ian viele, viele Jahre lang versorgt. Tun Sie nicht so, als hätten Sie keinerlei Verdacht gehabt.«
Hogg reagierte nicht, sondern verbarg weiterhin das Gesicht.
Dafydds Stimme wurde lauter. »Sehen Sie mich an, Hogg. Versuchen Sie nicht, es zu leugnen. Ian ist tot, und das ist teilweise ihre Schuld.«
Plötzlich blickte Hogg auf. »Hat irgendjemand sonst diesen Brief gesehen? Er war verschlossen.«
»Ich fürchte, ja. Der Brief existiert in dreifacher Ausfertigung, alle drei sind von Ian unterschrieben. Ich habe Mike Dawson ein Exemplar davon gegeben, zusammen mit der Bandaufzeichnung. Für Sheila ist das Spiel jetzt wohl aus.«
»Wie konnten Sie nur?«, schnauzte Hogg ihn an. »Wie konnten Sie das den Kindern antun, Ihren Kindern. Ist Ihnen denn nicht bewusst, dass sie ihre Mutter verlieren werden? Sheila ist erledigt, sie wird ins Gefängnis wandern …«
Dafydd starrte ihn erstaunt an. Trotz allem, was geschehen war, wäre es Hogg immer noch am liebsten gewesen, wenn Dafydd die Beweise hätte verschwinden lassen, um Sheila reinzuwaschen. »Wie können Sie diese Frau jetzt noch decken?«, fragte Dafydd voller
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