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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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stieg von seinem Fahrrad und kämpfte mit seiner hinderlichen Regenkleidung. Er schob sein Rad schnell den Hügel hinauf zur römischen Mauer, und als er das Gesicht im eisigen Regen hob, sah er zu seiner Bestürzung, dass Isabel schon vor ihm eingetroffen war. Er hatte ihr Auto nicht an der Straße oder auf dem Parkplatz bemerkt, und es gab auch sonst keinerlei Anzeichen, dass jemand anwesend war. Sie hatte diesen Treffpunkt bestimmt. Eine sonderbare Wahl, obwohl sie den Ort gut kannten. Isabel schien damit anzudeuten, dass selbst eine Gaststätte zu intim wäre.
    Sie lehnte an der alten Mauer, um den Großteil des Regens von sich abzuhalten – als hielte sie Wache. Sie trug einen hellen Mantel, der in der Taille eng zusammengeschnürt war und ihr bis zu den Knöcheln reichte, sowie derbe Lederstiefel. Ihre Haltung war streng, ihr Profil römisch, und ihr kurzes, feuchtes Haar klebte ihr an den Schläfen. Sie stand reglos da, einen Moment lang wie eine archaische Erscheinung. Er blieb stehen und musterte sie: Isabel schien weit fort zu sein, Teil einer fernen Vergangenheit. Die übliche Zärtlichkeit für sie kam in ihm auf, übermannte ihn. Er spürte, wie stechende Tränen in seinen Augen aufzusteigen drohten. Aber als Isabel sich umwandte, ließen ihn die Kälte und Selbstbeherrschung ihres Blickes frösteln. Er stellte sein Rad ab, kletterte über die Felsen und hockte sich neben sie hinter die Mauer.
    »Dies ist meine neue Bude als alleinstehende Frau«, meinte sie lächelnd und schnipste mit dem Zeigefinger einen Tropfen Rotz von seiner Nasenspitze.
    »Es wird ein einsames Leben werden. Kalt und unwirtlich«, erwiderte er.
    »Nicht so kalt und unwirtlich, wie deines werden könnte.«
    »Meines ist nur eine Erkundungsreise. Ich werde zurückkommen«, betonte er. »Das weißt du.« Er wartete einen Augenblick. »Was ist mit dir? Wirst du zurückkommen?«
    »Ich weiß es nicht, Dafydd.« Isabel zupfte an einer Flechte an der Wand und betrachtete dann ihre Nägel. Sie waren glatt und eben. Anscheinend kaute sie nicht mehr daran. »Ich weiß nicht, ob wir die Dinge wieder in Ordnung bringen können, aber ich gebe zu, dass ich gern erfahren würde, welche Schlüsse du dort drüben ziehen wirst.« Sie kramte in den Taschen nach ihren Handschuhen und zog sie an. »Wenn ich doch nur verstehen könnte, was du im Schilde führst, was in deinem Kopf vorgeht. Wenn ich doch nur …« Sie brach ab und starrte auf ihre Stiefel.
    Dafydd senkte ebenfalls den Blick, auf das nasse Gras, und fragte sich, ob sie an das Picknick dachte, das sie hier drei Sommer zuvor veranstaltet hatten. Nach einem unglaublichen Sonnenuntergang war das Licht noch lange verweilt. Sie hatten eingetrocknete Sandwiches aus der Tankstelle gegessen und dazu eine ganze Flasche billigen Cider getrunken, der stark wie Wein war, sodass sie kicherten und zotig wurden. Er hatte sie auf die schmuddelige Decke geworfen, ihr die Shorts und den Schlüpfer vom Leib gerissen und seinen Reißverschluss hinuntergezogen. Sie lagen in Löffelhaltung, und er hatte ein Stück der Decke über ihre nackten Hüften gezerrt. Während sie für ihre Verhältnisse ziemlich laut aufschrie, plapperte eine amerikanische Touristin selbstvergessen auf der anderen Seite der Mauer: »Mensch, ist das nicht toll. Er hat seine Soldaten gezwungen, das zu bauen, nur damit sie nicht faul wurden. Hier heißt es … nicht draufklettern, Schatz, sie könnte bröckeln, und du würdest dir ein Bein brechen.«
    »Warum wolltest du, dass wir uns hier treffen?«, fragte Dafydd.
    »Ich wollte herausfinden, ob eine Rückkehr etwas ungeschehen machen kann.« Sie drehte ihr nasses, bleiches Gesicht zu ihm. »Ich habe mich danach gesehnt, etwas zurückzubekommen. Es war furchtbar, alles zu verlieren.«
    »Alles?« Dafydd runzelte die Stirn. »Es gibt noch immer mich, deinen Mann, und unser gemeinsames Zuhause.«
    »Vertrauen ist etwas Wichtiges. Verharmlose das bitte nicht.« Kurz darauf fügte sie hinzu: »Und festzustellen, dass jemand, den man so gut zu kennen glaubte, in Wirklichkeit ein anderer ist. Das ist verheerend.«
    »Ja, da hast du recht, das ist verheerend«, erwiderte Dafydd spitz. Sie schien nicht zu verstehen, was er meinte, doch sie stieß einen plötzlichen Schluchzer aus.
    Auf einmal spürte er eine Distanz. Es war fast komisch. Nur wenige Monate zuvor hatten sie geglaubt, ihre Liebe werde für immer andauern … Unvereinbare Gegensätze – oder wie auch immer das vor Gericht genannt

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