Zeit der Gespenster
an. »War ein Witz.«
»Du könntest doch eine Zeit lang auf Ethan aufpassen, während ich arbeite. Obwohl das vielleicht gruseliger ist als dein letzter Job.«
»Geister sind nicht gruselig«, sagte Ross unwillkürlich. »Es sind einfach Menschen. Na ja, es waren mal welche.«
Shelby, die gerade die Decke zusammenfaltete, hielt inne. »Aber gesehen hast du nie einen?«
»Nein.«
»Obwohl du es wolltest.«
Ross lächelte gequält. »Ich hab auch noch nie einen Zehntausend-Dollarschein gesehen, obwohl ich immer einen sehen wollte.«
Ja, es war richtig, dass er den Job aufgegeben hatte, schließlich hatte er in den neun Monaten nicht das gefunden, wonach er gesucht hatte.
Aber andererseits besaß er ein unerklärliches Foto; womöglich ein Geist, der von der Wärme oder dem Licht oder sogar von den Batterien in seiner Kamera die nötige Kraft bezogen hatte, um sichtbar zu werden. Das fand Ross vollkommen logisch. Schließlich war Aimee seine Energiequelle gewesen. Ohne sie war er selbst kaum mehr als ein Geist, der ungesehen durch sein eigenes Leben glitt.
»Ich fahr den nicht über den Haufen!«, brüllte der Vorarbeiter mit dem dunkelroten Gesicht. Er starrte aus dem Führerhaus des Bulldozers zornig auf Eli hinunter, die Arme über dem ausladenden Bauch verschränkt.
»Mr. Champigny …«
»Winks.« Der Bursche, der ausgestreckt auf dem Boden lag, lächelte zu Eli hoch. »So nennen mich alle.«
Elis Hund sprang heran und stellte die Vorderpfoten auf Winks’ Brust. »Watson, Platz!«, befahl Eli. »Mr. Champigny, ich muss Sie bitten aufzustehen. Die Firma Redhook hat die Erlaubnis, auf diesem Grundstück tätig zu werden.«
»Was hat er gesagt?«, rief Winks einer Gruppe von Grundstücksbesetzern zu.
»Können Sie die nicht festnehmen?«, fragte Rod van Vleet.
»Bis jetzt haben sie sich außer zivilem Ungehorsam noch nichts zuschulden kommen lassen.« Zumindest lauteten so die Anweisungen von Elis Chef, Chief Follensbee, der Sorge hatte, das Ganze könnte zu einem regelrechten Rassenkonflikt eskalieren. Eli wusste, dass die Abenaki sich zurückhalten würden, wenn man sie nicht unter Druck setzte. Trotzdem ging ihm das alles gegen den Strich. Er musste den stadtbekannten Trinker Abbott Thule von Abe’s Store abholen und in die Ausnüchterungszelle verfrachten. Er musste Futter für Watson besorgen. Er wollte sich jetzt nicht mit einem Haufen Indianer herumschlagen.
Er rieb sich den Nacken. In solchen Augenblicken fragte er sich, wieso er nach dem Tod seiner Mutter nicht nach Florida gezogen war. Er war sechsunddreißig und arbeitete viel zu viel. Verdammt, er könnte jetzt mit seinem Dad eine Runde Golf spielen. Er könnte unter einer Palme dösen. Neben ihm blickte Watson hechelnd zu ihm hoch.
»Auf diesem Grundstück ruhen menschliche Überreste«, beteuerte Winks.
»Stimmt das?«, fragte Eli.
Rods Gesicht verdunkelte sich. »Es sind keine gefunden worden. Bloß ein Medaillon aus Blech, ein paar Tonscherben und ein Penny von 1932.«
»Eine Pfeilspitze«, rief Az Thompson, obwohl Eli gedacht hatte, der alte Mann wäre zu weit entfernt, um sie zu verstehen. »Vergesst die Pfeilspitze nicht.«
Der Bauunternehmer verdrehte die Augen. »Was rein gar nichts beweist, nur dass ein paar Kinder hier mal Cowboy und Indianer gespielt haben.«
Az Thompson kam zu ihnen. »Pfeilspitzen interessieren uns nicht. Aber unsere Ahnen. Haben Sie Poltergeist gesehen? Wenn man ihre Ruhestätte umpflügt, wird nichts, was hier gebaut wird, auf Dauer Frieden erleben.«
Eli fragte sich, wieso der alte Mann an diesem Grundstück hing. Soweit er wusste, hatte Az früher irgendwo im Westen gelebt. Zugegeben, er lebte schon fast so lange hier wie Eli, aber Az hatte bestimmt keine besondere Verbindung zu diesem Fleckchen Land. Vermutlich wehrte er sich nur aus Prinzip gegen die Baumaßnahmen.
»Das ist eine Drohung«, sagte Rod zu Eli. »Sie haben’s gehört.«
Az lachte. »Womit hab ich Ihnen denn gedroht?«
»Mit einem Fluch. Irgendeiner … Hexerei.«
Der alte Indianer schloss eine Hand um seine Pfeife und zündete mit der anderen die Blätter darin an. »An so was muss man glauben, damit es funktioniert.« Er inhalierte. »Glauben Sie an so was, Mr. van Vleet?«
»Hören Sie«, sagte Eli mit einem Seufzer. »Ich weiß, was ihr alle von der Baufirma haltet, Az. Aber wenn ihr euch beschweren wollt, dann macht das am besten auf dem Rechtsweg.«
»Als das Rechtssystem beim letzten Mal behauptet hat, es
Weitere Kostenlose Bücher