Zeit der Gespenster
seinen Zigaretten, sah dann zu Ethan hinüber und überlegte es sich anders. »Ich hätte schon längst aufhören sollen.«
»Mit dem Rauchen?«
»Mit der Geisterjagd.«
»Wieso hast du’s nicht getan?«
Ross dachte an Curtis Warburton: Unsere Arbeit besteht zu fünfzig Prozent darin, den Leuten genau das zu sagen, was sie hören wollen . Er dachte an Aimees verlorenen Verlobungsring, der über Nacht verschwunden war, obwohl er das Zimmer auf den Kopf gestellt hatte. »Weil Dinge passiert sind, die ich nicht verstehen konnte … und ich dachte, wenn ich nur energisch genug suche, würde ich sie begreifen.«
»Vielleicht hättest du Physiker werden sollen.«
Ross zuckte die Achseln. »Wissenschaft kann nicht alles erklären. Wieso geht man an dreißigtausend Menschen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und dann kommt jemand, und man weiß, dass man nie wieder die Augen von ihr lassen will?«
»Liebe ist zwar nichts Rationales, Ross, aber sie ist auch nicht paranormal.«
Wer sagt das?, dachte Ross. »Aber es geht doch darum, dass man etwas fühlen kann, auch wenn man es nicht sieht. Und wenn du in einem Fall bereit bist, dich auf dein Gefühl zu verlassen, warum dann nicht auch in einem anderen?« Er stand auf und klopfte seine Jeans ab. »Weißt du, ich war da bei Leuten zu Hause … und ich musste nur bereit sein, ihnen zuzuhören. Das waren nicht bloß Spinner, Shel … da waren Uniprofessoren und Topmanager dabei. Es ist, als gehörte man zu einer besonderen Gruppe Mensch, wenn man einmal einen Geist gesehen hat, und die meisten brennen darauf, Gleichgesinnte zu finden, Leute, die sie nicht für verrückt erklären.«
»Selbst Uniprofessoren und Topmanager können Lügner sein. Oder Spinner«, sagte Shelby.
»Und was ist mit Vierjährigen?« Ross sah seine Schwester an. »Was ist mit dem Kind, das mitten in der Nacht zu seiner Mom gelaufen kommt und sagt, in seinem Zimmer ist ein alter Mann, der will, dass sie aus seiner Werkstatt verschwinden, damit er einen Tisch bauen kann? Und dann findest du heraus, dass vor zweihundert Jahren eine Tischlerwerkstatt auf dem Grundstück stand?«
»Das … ist wirklich passiert?«
Der vierjährige Junge hatte schließlich angefangen, sich auf den Kopf zu schlagen, damit er die Stimme des Geistes nicht mehr hörte. »Tja. Wahrscheinlich können auch Kinder verrückt werden. Eines ist jedenfalls klar: Ich hab damit nichts mehr zu tun.« Aber Ross fragte sich, ob er seine Schwester überzeugen wollte oder sich selbst.
Shelby tätschelte ihm die Schulter. »Wenn irgendwer fähig wäre, konkrete Beweise für die Existenz von Geistern zu finden, dann jedenfalls du.«
Er blickte sie unsicher an, nahm dann sein Portemonnaie aus der Tasche und zog ein Foto heraus.
»Jetzt erzählst du mir gleich, dass das wie ein Mund aussieht und Augen.« Sie blinzelte. »Und eine Hand.«
»Ich hab dir gar nichts erzählt. Du hast das gesagt.«
»Und was ist es nun?«
»Curtis Warburton würde es Ektoplasma nennen. Als ich das Foto gemacht habe, war auf diesem See absolut nichts … kein Nebel, kein Dunst, nichts. Aber das hier tauchte auf dem Negativ auf. Film ist so empfindlich, dass er Licht, Wärme und magnetische Energie aufzeichnet … genau die Quellen, mit deren Hilfe sich Geister materialisieren.« Ross schob das Foto zurück ins Portemonnaie. »Aber vielleicht sind das auch nur irgendwelche Flecken, weil die im Labor was verschüttet haben.«
Er sagte nicht, dass die Luft in dem Moment, als er auf den Auslöser drückte, plötzlich eiskalt geworden war. Er sagte nicht, dass seine Hände den Rest des Tages unentwegt gezittert hatten.
»Als du das Foto gemacht hast, war kein Nebel zu sehen?«, fragte Shelby nach.
»Nein.«
Sie legte die Stirn in Falten. »Wenn ich das Foto in der Zeitung sehen würde, würde ich es für manipuliert halten. Aber …«
»Aber ich bin dein Bruder, also musst du mir trauen?«
Ethan kam donnernd vor ihnen zum Stehen. »Wir haben doch hier den Steinbruch, da soll vor ganz langer Zeit mal einer ermordet worden sein. Und alle sagen, dass es da spukt. Wir könnten doch mal hinfahren und …«
»Nein!«, sagten Ross und Shelby gleichzeitig.
»Manno«, murmelte Ethan und rollte wieder davon.
Ross blickte zum Horizont, wo die blaue Nacht sich allmählich verfärbte. »Müssen wir nicht langsam rein?«
Shelby nickte und fing an, die Überreste des Picknicks einzusammeln. »Und was willst du jetzt machen?«
»UFOs jagen.« Er sah sie
Weitere Kostenlose Bücher