Zeit der Gespenster
Treppe waren die Reste eines Lagerfeuers und mindestens dreißig leere Bierflaschen.
Ethan blickte von dem zerbrochenen Geländer zu der düsteren Öffnung eines Nebenzimmers und dann zur Decke. Okay, es war gruselig, dachte er. Na und? Er war schließlich mutiger als die anderen Kinder, die er kannte … obwohl er, zugegeben, nicht viele kannte.
Das redete Ethan sich zumindest ein, bis ihn eine Berührung im Nacken heftig zusammenfahren ließ.
Kerrigan Klieg war der Reporter bei der New York Times , der regelmäßig zu Halloween den obligatorischen Artikel über Vampire verfasste und der die Eltern des ersten New Yorker Millenium-Babys interviewte. Er interessierte sich weder für Wirtschaft noch für große Politik. Zwar rissen ihn die Menschen, über die er schrieb, auch nicht immer vom Hocker, aber ihm gefiel an seiner Arbeit, dass er bei den Recherchen viel von Land und Leuten mitbekam. Er rief sich gern in Erinnerung, dass es außerhalb von Manhattan eine ganze Welt gab, in der die Menschen sich auf der Straße noch in die Augen sahen.
Und was sich ihm hier bot, war der Stoff, von dem er nur träumen konnte: ein hundertjähriger Indianer, eine verstörte Provinzstadt, ein Baulöwe und Gerüchte von einem bösen Geist.
Kerrigan ging neben Az Thompson her, dem Burschen, der ihn angerufen hatte, und fragte sich, wie der Alte es wohl geschafft hatte, so alt zu werden. »Seit Urzeiten ist uns unser Land weggenommen worden«, sagte Thompson. »Aber dass das auch nach unserem Tod noch so weitergehen soll, ist einfach deprimierend.«
Kerrigan stieg über einen Hund hinweg, der auf einem alten Schuh herumkaute. »Soweit ich weiß, wohnt der Besitzer des Hauses, Spencer Pike, schon eine ganze Weile nicht mehr hier.«
»Seit zwanzig Jahren nicht mehr.«
»Glauben Sie, er wusste, dass das Land hier angeblich ein Indianerfriedhof war?«
Der alte Mann blieb abrupt stehen. »Ich glaube, Spencer Pike weiß viel mehr, als er zugibt.«
Kerrigan öffnete den Mund, um noch eine Frage zu stellen, als er einen Mann und einen Jungen ins Haus gehen sah. »Wer sind die beiden?«
»Man munkelt, van Vleet hätte jemanden engagiert«, sagte Thompson. »Um sicherzugehen, dass es keine Geister gibt.« Er wandte sich dem Reporter zu. »Was meinen Sie dazu?«
»Dass das eine prima Story abgibt«, antwortete Kerrigan vorsichtig.
»Mr. Klieg, haben Sie sich schon mal die Schuhe angezogen, und die waren voller Schnee, mitten im August? Oder haben Sie gesehen, wie sich über Nacht Kürbisblüten aus einem Abfluss hochranken?«
»Äh, nein, ehrlich gesagt.«
Thompson nickte. »Dann sind Sie hier genau richtig«, sagte er.
Als Ross Ethan im Nacken berührte, machte der Junge vor Schreck einen Satz. »Alles in Ordnung?«, fragte Ross.
Ethan zitterten die Knie. »Klar. Ehrlich, alles cool.«
»Ich kann dich auch nach Hause bringen, wenn du willst. Kein Problem.« Ross blickte Ethan ernst an.
Statt einer Antwort legte Ethan die Hand auf das kaputte Treppengeländer und stieg nach oben.
Mit einem Seufzer folgte Ross ihm. Für Ethan mochte die Sache ja spannend sein, aber er könnte gut und gern darauf verzichten. Als van Vleet ihn gebeten hatte, die paranormalen Phänomene auf dem Pike-Grundstück zu untersuchen, hatte er rundheraus abgelehnt. Und dann hatte er gesehen, wie seine Schwester ihn beobachtete, wartend.
Er hatte vier Bedingungen gestellt. Erstens, Ross leitete die Untersuchung und würde sich von niemandem etwas sagen lassen müssen, nicht einmal vom Chef der gesamten Redhook-Gruppe. Zweitens, die Einzigen, die sich während der Untersuchung im Haus und in der Nähe aufhalten durften, würden Ross und sein Assistent sein – Ethan, was den Jungen gleichermaßen erstaunte und begeisterte. Drittens, Ross wollte keinerlei Informationen darüber, was sich in der Vergangenheit in dem Haus und auf dem Grundstück zugetragen hatte, bis er selbst darum bat – das könnte sonst seine Eindrücke verfälschen. Viertens, er würde kein Geld nehmen – anders als die Warburtons, die jedem x-beliebigen Kunden einen Geist lieferten, wenn nur das Geld stimmte.
Im Gegenzug versprach Ross, die Untersuchung diskret durchzuführen, ganz wie es die Geschäftsleitung von Redhook wünschte. Denn es sollte auf keinen Fall durchsickern, dass sie tatsächlich die Existenz übernatürlicher Phänomene in Betracht zog.
Also war er jetzt hier und bereitete eine nächtliche Überwachung vor, ganz wie in alten Zeiten. »Leg die Kamera hin«,
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