Zeit der Gespenster
auf die beschlagene Scheibe. H-I-L-F-E .
»Scheiße«, hauchte Eli, und dann wurde der Spiegel plötzlich vor seinen Augen klar gewischt und zeigte ihm sein panisches Gesicht. Er wich rückwärts aus dem Badezimmer und stieg, so schnell er konnte, die wackelige Treppe hinunter. Dicht gefolgt von seinem Hund, rannte Eli aus der offenen Tür hinaus. Als er den Sicherheitszaun gerade überwunden hatte, leuchtete das Haus plötzlich hell auf wie ein Weihnachtsbaum. Eli drehte sich um und starrte mit offenem Mund auf die verblüffende Schönheit eines Leuchtturms mitten im Wald.
Und das in einem Gebäude, in dem es schon seit zwanzig Jahren keinen Strom mehr gegeben hatte.
Es roch nach Tod. Ross konnte ihn auf den Fluren des Pflegeheims riechen, eingehüllt in den Geruch von Ammoniak und Bettwäsche und Tabletten.
Er war heute hergekommen, um Nachforschungen anzustellen, weil er hoffte, so die Gedanken an Lia verdrängen zu können. Seit einer Woche hatte er nichts von ihr gehört. Stattdessen hatte er zahllose Anrufe von Rod van Vleet erhalten. Ob Ross wusste, dass das Pike-Haus sich von selbst wieder aufbaute? Dass noch dazu ein Polizist behauptet hatte, in dem Haus seien alle Lichter angegangen – wo doch die Stromleitungen längst gekappt waren?
Ross hatte seinen Besuch nicht angemeldet, weil er nicht wusste, ob Spencer Pike bereit wäre, ihn zu empfangen. Und jetzt, da er dem alten Mann gegenübersaß, empfand Ross Mitleid mit ihm. Das bisschen Leben, das noch in Pike steckte, schien sich auf seine leuchtend blauen Augen zu beschränken.
»Die mit Zimt und Rosinen kannst du vergessen«, sagte Spencer Pike.
»Wie bitte?«
»So was dürfte gar nicht Bagel heißen. Wenn Sie mich fragen, aber mich fragt ja keiner, darf ein Bagel nicht süß sein, zum Donnerwetter noch mal. Wer schmiert sich schon Marmelade auf sein Schinkenbrot?« Er beugte sich vor. »Sie arbeiten doch für van Vleet. Sagen Sie ihm, dass ich das gesagt habe.«
»Genau genommen arbeite ich nicht für die Redhook-Gruppe«, stellte Ross klar.
Pike zuckte die Achseln. »Was wollen Sie dann hier?«
»Soweit ich weiß, gehörte der gesamte Besitz ursprünglich Ihrer Frau und fiel mit ihrem Tod an Sie, weil Sie keine Kinder hatten.«
»Das stimmt nicht.«
Ross schaute von seinem Notizblock auf. »So steht es im Testament Ihrer verstorbenen Frau.«
»Ist aber trotzdem falsch. Cissy und ich hatten ein Baby, aber es kam tot zur Welt.«
»Das tut mir leid.«
Pike strich die Decke über seinen Beinen glatt. »Das ist lange, lange her.«
»Mr. Pike, ich würde gern wissen, ob Sie irgendetwas über die Geschichte des Grundstücks wissen, bevor es in Ihren Besitz überging.«
»Es gehörte der Familie meiner Frau. Es war seit etlichen Generationen von der Mutter an die Tochter gegangen.«
»Hat das Land je den Abenaki gehört?«
Pike wandte langsam den Kopf. »Wem?«
»Den amerikanischen Ureinwohnern, die gegen das Bauprojekt auf dem Land protestieren.«
»Ich weiß, wer die sind!« Pikes Gesicht lief rot an, und er musste husten. Eine Pflegerin eilte herbei, blickte Ross tadelnd an und sprach beruhigend auf den alten Mann ein, bis er wieder halbwegs regelmäßig atmete. »Die können nicht beweisen, dass es ein Indianerfriedhof war, was?«
»Gewisse … Umstände«, sagte Ross behutsam, »legen den Schluss nahe, dass es auf dem Gelände spukt.«
»Oh ja, das kann sein. Schließlich ist meine Frau dort gestorben«, sagte Pike heiser.
Das tot geborene Kind, der frühe Tod von Cissy Pike, die Möglichkeit eines ruhelosen Geistes – allmählich fügte sich alles zusammen. »Im Wochenbett?«
Pike schüttelte den Kopf. »Sie wurde ermordet. Von einem Abenaki.«
Während ihrer Mittagspause ging Shelby, einem plötzlichen Impuls folgend, zur Stadtverwaltung hinüber. Lottie, die füllige Sekretärin, saß mit einem Diätplan hinter ihrem Schreibtisch. »Weißt du was?«, fragte sie und griff nach einer Selleriestange. »Gemüse ist Teufelswerk.« Sie biss ein Stück ab. »Schön blöd von mir, eine Diät anzufangen, wo ich sowieso schon schlecht gelaunt bin. Ich wünschte, der ganze Spuk hier hätte endlich ein Ende. Myrt Clooney hat mir erzählt, der Papagei von Wally LaFleur würde neuerdings Edith-Piaf-Lieder singen, einfach so. Und die Kaffeemaschine bei uns im Büro kocht nur noch Limonade.«
Zehn Minuten später saß Shelby unter dem Vorwand, für einen Gönner der Bibliothek eine Information zu suchen, im Kellergeschoss der Verwaltung,
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