Zeit der Heimkehr
Glockenblumen, Löwenzahn, Herzmuscheln, Rotglöckchen, Doppelklee... Aber Mudge, du bist ja wunderschön! Und du riechst auch so hübsch.«
»Ich will nich wunderschön sein! Ich will nich 'übsch riechen!« Der Otter, dem Schlaganfall nahe, vollführte einen zornigen Kreistanz und wedelte mit den Armen angesichts der Ungerechtigkeit des Ganzen. Während er auf die Luft eindrosch, fielen Blütenblätter von ihm ab. Er sah aus wie der Teil eines Wagens bei einer Blumenparade, der sich immer selbständig zu machen versuchte. Schließlich war der Dampf raus, und er sackte zu einem kläglichen Häufchen Elend zusammen - zu einem sehr hübschen Häufchen, überlegte Jon-Tom.
»Weh mir! Was soll aus dem armen alten Mudge werden?«
»Immer mit der Ruhe.« Jon-Tom legte den Arm um seine blumige Schulter. Über einem Ohr summte emsig eine glückliche Biene. »Ich bin sicher, daß dieser Zustand ebenso schnell vergehen wird wie die anderen. Und wenn ich mir überlege, daß ausgerechnet du mich immer mit meinem blühenden Wahnsinn aufgezogen hast...«
Mudge stieß einen Schrei aus und schoß auf seinen Freund zu, doch Jon-Tom hatte die Attacke vorhergesehen und war ihm rechtzeitig ausgewichen. Normalerweise hätte Mudge ihn mühelos einholen können, doch sein Blumenpelz behinderte ihn derart, daß Jon-Tom seinem Zorn entgehen konnte.
»Bösartig«, murmelte er. »Bösartig und übel und sarkastisch, du grinsender Affe.« Er blickte an sich hinab, breitete die Arme aus. »Absolut demütigend.«
»Sieh es doch einmal von dieser Seite«, sagte Jon-Tom zu ihm aus sicherer Entfernung, »wenn wir uns vor irgendwelchen Verfolgern verstecken müssen, besitzt du so immer eine perfekte Tarnung.«
»Witze! Da leide ich wie nie zuvor, und alles, was mein bester Freund kann, is, Witze zu reißen.«
Jon-Tom legte das Kinn in eine Hand und studierte den Otter mit übertriebenem Ernst. »Ich weiß nicht, ob wir dich besser mähen oder düngen lassen sollen.«
Nicht einmal Weegee war immun gegen die Komik der Situation. »Mach dir doch keine Sorgen, Liebster, ich werde dir immer zweimal die Woche Wasser geben.«
Mudge kauerte sich auf blumige Hinterläufe nieder. »Ich 'asse euch beide. Voller Bösartigkeit seid ihr.«
»Na, Mudge...« Weegee wollte ihn streicheln, doch er wich ihr aus.
»Faß mich bloß nich an.« Das zweite Mal wich er allerdings nicht zurück.
Sie begann damit, die Blätter einer seiner Blüten abzuzupfen.
»Er liebt mich, er liebt mich nicht.«
Als sie damit fertig war, befand sich auf seinem Rücken keine einzige Blüte mehr. Sie wuchsen auch nicht nach. Die Borsten, die sich kurz zuvor noch zu Stengeln geteilt hatten, blieben kahl.
»Siehst du, Mudge? Unter den Blumen ist dein Pelz ganz normal.« Gemeinsam begannen sie damit, die restlichen Blüten zu entfernen.
Es gab sehr viel Haar und sehr viel Blütenblätter, und das Pflücken hielt sie bis Strelakat Stallungen beschäftigt. Als sie die Außenbezirke der Stadt erreicht hatten, sah Mudge wieder ganz wie der alte aus und fühlte sich auch so. Die geheimnisvolle - und sehr farbenfrohe - Krankheit hatte ihren Lauf beendet. Das war auch gut so, da Mudge und Weegee von dem dreitägigen unentwegten Pflücken ziemlich erschöpft waren.
Es gab weder ein Straßenschild noch eine Vorwarnung. Sie marschierten nicht in Strelakat Stallungen hinein, sie stolperten praktisch darüber.
Jon-Tom war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, um sich im Geiste die Stadt bereits vorzustellen, deshalb war er auf die bezaubernde Wirklichkeit auch nicht vorbereitet. Ebensowenig seine Gefährten. Sie nahm sie sofort mit ihrem Zauber gefangen. Alle Gefahren und Unbilden der langen Reise lagen nun hinter ihnen. Sie konnten sich ausruhen, alles in Ruhe angehen und sich dem Charme dieses einzigartigen Ortes hingeben.
Am Stadtrand hatte man den Dschungel weniger gerodet als vielmehr frisiert. Bäume und Sträucher, die große Blumen hervorbrachten, hatte man intakt gelassen, damit sie der Peripherie Farbe und Duft verliehen. Allerdings wies keiner der drei anderen Gefährten Mudge darauf hin, da er immer noch ein wenig empfindlich war, wenn es um Blüten ging. Jede Erwähnung von Blumen weckte in ihm schlimmste Mordgelüste.
Eine Kopfsteinpflasterstraße wand sich durch die Stadt; ihre bloße Existenz war ebenso erstaunlich wie die Präzision, mit der man die Steine aneinandergelegt hatte. Jon-Tom konnte bestenfalls spekulieren, wo die Stadtbewohner mitten im
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