Zeit der Heimkehr
vors Gesicht gelegten Flügel hindurchzuspähen. »Komm raus da, Teyva. Das bringt uns auch nicht weiter.«
»Nein. Aber ich fühle mich sowieso schon schlimm genug, und jetzt werde ich sterben, und ihr werdet alle sterben, nur weil ihr versucht habt, mir zu helfen. Da brauche ich nicht noch mehr Schande.«
Weegee stand neben dem Tor. »Zeit für letzte Reue oder so was. Sie kommen.«
In feierlicher Doppelreihe kam eine ganze Schar von Dorfbewohnern auf den Korral zu. Die anderen, die sich um die Feuergrube geschart hatten, ließen einen dumpfen Singsang ertönen.
»Bitte, komm da raus«, flehte er in Richtung des bunten Flügels. Ein zögernder Teyva spähte hinter den Federn hervor.
»Es hat keinen Zweck, Mensch. Ich weiß zwar deine Bemühungen um mich wirklich zu schätzen, aber du vergeudest nur deine Zeit. Das hat man alles schon versucht.«
»Vielleicht können wir die Sache ja auch vortäuschen. Versuch einfach so zu tun, als würdest du doch wegfliegen. Erschrecke sie wenigstens so weit, daß sie für eine Weile zögern.« Er legte eine Hand an den schwarzen Lederriemen, der die Wirbelsäule des Hengstes entlanglief. »Würde dir das etwas ausmachen?«
»Ihr solltet euch lieber auf euer letztes Minütchen vorbereiten, aber wenn euch das ein besseres Gefühl gibt, dann versuchen wir es eben.«
Jon-Tom stemmte einen Fuß in die untere Lederschlaufe und schwang sich auf den breiten, muskulösen Rücken. Von seiner neugewonnenen Höhe aus hatte er eine ganz andere Perspektive, was Teyvas Größe und Kraft anging. Der Hengst besaß wahrscheinlich die Flügelspanne eines kleinen Flugzeugs.
»Mudge, Weegee, Vorsicht: Steigt hinter mir auf.«
»Wozu, Kumpel? Wenn dieser nutzlose Klumpen Pferdefleisch fliegen könnte, wäre er schon längst abge'auen, und wir säßen jetzt nich' in dieser Klemme.«
Als Jon-Tom ihr beim Aufsteigen half, sagte Weegee: »Tu, was er sagt, Mudge.«
»Tu, was Jon-Tom sagt, tu, was Jon-Tom sagt! Das tue ich jetzt schon seit über 'nem Jahr, und sieh mal, wo'in es mich gebracht 'at.«
»Gut, dann tu, was ich sage. Steig auf!«
»Und jetzt nehme ich auch schon Befehle von 'ner doofen Frau an.« Leise grollend erhob er sich und schritt an die Seite des Hengstes.
Mit Jon-Tom vorn und den beiden Ottern und Vorsicht hinter ihm, war nicht mehr viel Platz auf Teyvas Rücken. Mudge saß schon eher auf dem Hinterteil des Hengstes als auf seinem Rücken, was dem Otter aber ganz angemessen erschien. Denn er behauptete, daß dies auch der Teil des Lebens gewesen sei, den er immer abbekommen habe, seitdem er mit Jon-Tom zusammen sei.
»Dreh dich um und stell dich ihnen entgegen.«
»Warum?« fragte Teyva Jon-Tom. »Es wäre mir lieber, den tödlichen Hieb nicht kommen zu sehen.«
»Dreh dich gefälligst um, und stell dich ihnen, wie der Mensch es dir sagt«, brüllte Mudge. »Für dich macht es vielleicht keinen großen Unterschied, aber ich will verdammt sein, wenn ich mit 'nem Speer im Arsch sterbe!« Wortlos drehte der Hengst sich um. »Und nun breite die Schwingen aus, als würdest du abheben wollen«, befahl ihm Jon-Tom. Mit einem selbstaufopfernden Seufzen gehorchte der Hengst.
Das Tor ging auf. Die Dorfbewohner teilten sich in zwei Reihen, die vom Korral bis zur Feuergrube führten. Zwei Wölfe, ein paar Dingos und ein fledermausohriger Fuchs kamen feierlich den Mittelgang entlanggeschritten. Jeder von ihnen trug ein Messer von der Größe einer Machete.
»Da kommen die gesalbten Metzger«, brummte Mudge. »'alt sie so lange mit deinem Stab ab, wie du nur kannst, Kumpel.«
Jon-Tom ignorierte den Otter, während er die Schlächter musterte. Sie trugen schwarze Lederriemen ähnlich jenen, die man Teyva angelegt hatte. Der letzte Wolf in der Reihe hielt einen Armvoll kleinerer Ledergegenstände. Offensichtlich war es nicht vorgesehen, daß die vier neuen Gefangenen unkorrekt bekleidet in den Tod gingen.
Er beugte sich zu dem Ohr des Hengstes vor und flüsterte: »Und nun tu so, als wolltest du losfliegen.«
Gehorsam begann Teyva seine großen Schwingen auszubreiten. Die reichten von einer Seite des Korrals bis zur anderen. Diesmal erhob er sich fast einen Fuß vom Boden, bevor er wieder zurückfiel und beinahe in die Knie gegangen wäre.
»Ich kann nicht«, sagte er heiser. Jon-Tom meinte, Tränen zu sehen, die aus seinen Augen hervorquollen. »Ich schaffe es einfach nicht.«
»Lebe wohl, Weegee!« Mudge lehnte sich vor, um sie eng an sich zu drücken. »Tut mir leid um all
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