Zeit der Hingabe
Sie sich zu mir, damit Ihre Freundin mehr Platz hat.“
„Ich fühle mich ganz wohl hier.“
„Ich nicht.“ Mit etwas Glück hörte Jane seinen scharfen Unterton nicht, und Miranda hatte sich vorgenommen, die Scharade ihrer freiwilligen Flucht mit ihrem Verlobten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Wenn sie seine Bitte ablehnte, würde Jane Verdacht schöpfen.
Seufzend erhob sie sich. Im selben Moment fuhr der Wagen über einen Stein, und sie wurde gegen ihren Peiniger geworfen. Er fing sie mühelos auf, und selbst in der Dunkelheit konnte sie sein Lächeln erkennen. „Das ist eines der Dinge, die ich an Ihnen schätze. Ihr Zögern und Ihren Eigensinn.“ Er zwang sie sanft auf den Platz neben sich, legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an seine Seite. Seine Körperwärme durchdrang sie. „So ist es gut“, raunte er an ihrem Ohr. Und zu ihrem Schock biss er ihr ins Ohrläppchen, nicht schmerzhaft, nein, ganz sanft. Miranda zuckte zusammen.
Gottlob konnte Jane nicht sehen, was er getan hatte. „Miss Pagett, haben Sie es bequem?“, fragte er fürsorglich und legte ihr die Pelzdecke über die Knie.
„Ja, vielen Dank“, antwortete Jane schläfrig. Die Ärmste klang wirklich elend, und Miranda hatte den herzlosen Wunsch, sie möge auch noch von Übelkeit befallen werden und ihren Magen auf die spiegelblank polierten Reitstiefel Seiner Lordschaft entleeren.
Jane schniefte in ihr Taschentuch und hustete gelegentlich, aber der Wagen rollte ruhig dahin, und es bestand keine Gefahr von Reisekrankheit. Bald würde Jane einschlafen, auch das wäre eine Beruhigung.
Vielleicht wurde sie selbst von Übelkeit befallen, wenn sie an Christophers klobige Hände dachte, die sie begrapscht hatten, an sein hässliches, bläulich verfärbtes Anhängsel, an ihre Schmerzen bei seinem Eindringen, an das schiere Grauen, unter ihm zu liegen, an seinen nackten behaarten Körper, als er sich keuchend und schwitzend an ihr vergangen hatte.
Ungebeten tauchte die Erinnerung an Luciens Männlichkeit an ihren Schenkeln auf. Selbst durch die Stoffschichten hatte sie bemerkt, dass er erheblich stattlicher ausgerüstet zu sein schien. Wenn Christopher ihr wehgetan hatte, würde Lucien ihren Schoß zerreißen. Was um Himmels willen sollte sie nur tun?
„Hören Sie auf, herumzuzappeln“, murmelte er an ihrem Ohr. „Wir haben eine lange Reise vor uns, und ich möchte wenigstens ein paar Stunden schlafen.“
„Was soll nur aus Jane werden?“, fragte sie kläglich.
„Sie hat nur eine harmlose Erkältung und schläft. Ich habe ihre Familie verständigen lassen, dass ihre Tochter Sie zu einem Besuch bei einer guten Freundin begleitet und in ein paar Tagen heimkehrt. Das wird ihre Eltern beruhigen, wenigstens vorübergehend.“
„Ihre Eltern werden sich große Sorgen machen. Jane und ich haben uns schon öfter in Schwierigkeiten gebracht.“
„Dann fallen sie wenigstens nicht aus allen Wolken, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.“ Er drückte ihren Kopf gegen seine Schulter. Sie wollte sich dagegen auflehnen, wusste aber, dass jeder Widerstand zwecklos wäre, und eigentlich lag ihr Kopf recht bequem, wenn sie ehrlich war. „Schlafen Sie, mein Engel. Das gibt Ihnen Kraft, morgen wieder gegen mich zu kämpfen.“
Und mit diesem weisen Rat im Sinn schloss sie die Augen.
11. Kapitel
M iranda träumte. An ihren Todfeind gelehnt, träumte sie von Christopher St. John, sah sein hübsches Gesicht mit dem fliehenden Kinn vor sich und seine hässlichen fleischigen Hände. Er verfolgte sie durch einen Wald, sie war nackt, nur ihr hüftlanges Haar bot ihr Schutz. Und während sie vor ihm floh, riss sie Blätter von den Zweigen, um sich zu bedecken, die sie jedoch wieder verlor. Sie rannte um ihr Leben, einer unbekannten geheimnisvollen Geborgenheit in der Ferne entgegen. Sie spürte, wie Christopher sie einholte, roch seinen üblen Schweiß; seine hässlichen Hände griffen nach ihr, bekamen ihre Haare zu fassen und zerrten schmerzhaft daran. Und dann plötzlich war sie frei, stürmte der Rettung entgegen, warf sich an einen warmen Körper und wurde von schützenden Armen umfangen. Ihr Retter duftete nach Leder und Gewürzen und warmer Männerhaut, ganz im Gegensatz zu Christophers beißendem Schweißgeruch, und sie blickte dankbar auf – in Luciens vernarbtes Gesicht.
Miranda riss die Augen auf. Er schlief friedlich neben ihr, hatte gottlob nichts von ihrem Albtraum bemerkt, sein Arm lag lose um ihre Schultern. Sie
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