Zeit der Hingabe
seine Gier.
Er machte kehrt, stieß den angehaltenen Atem langsam aus, unschlüssig, ob aus Bedauern oder Erleichterung. Und dann stapfte er die Stiege hinunter.
Jane lag reglos im Bett. Sie hörte Schritte auf der Stiege, langsam und ein wenig unsicher, und wusste, wessen Schritte es waren. Er trank ziemlich viel, hatte Mrs Grudge tadelnd bemerkt und sich bald zurückgezogen, um nach ihm zu sehen. Jane hatte allein zu Abend gegessen in der bangen Hoffnung, jemand würde sich zu ihr gesellen. Sie hatte sogar die Tür einen winzigen Spalt geöffnet und gewartet, lange gewartet. Aber aus der Schankstube waren nur gedämpfte Geräusche gedrungen, und dann war es ganz still geworden.
Sie hatte die Tür lautlos wieder zugezogen und sich in ihre Kammer begeben, um den Kampf mit ihren Kleidern und der Unterwäsche aufzunehmen. Nie zuvor hatte sie sich ohne Hilfe ihres Mädchens entkleidet und wusste erst jetzt dessen Dienste richtig zu schätzen.
Morgen, wenn sie zu Hause war, würde ihr Leben wieder in gewohnten Bahnen verlaufen, und Jacobs der Schürzenjäger wäre vergessen.
Wenn sie sich von ihm verführen ließe, dachte sie in einem Anflug von Galgenhumor, würde er ihr wenigstens aus diesen verflixten Kleidern helfen.
Vielleicht würde er sie aber auch nur aufs Bett werfen und ihr die Röcke hochschieben. Mit den Unterröcken wurde sie alleine fertig. Aber mit den winzigen Knöpfen im Rücken und den Bändern ihres Korsetts hatte sie ihre liebe Not. Irgendwann gelang es ihr jedoch, sich zu befreien. Dafür brauche ich wenigstens keinen Liebhaber, dachte sie bitter.
Sie sehnte sich nach frischen Kleidern, ihrem eigenen Bett, ihrer Familie und ihrem wohlgeordneten Leben.
Sie hatte seine Schritte unten gehört und sich geärgert, nicht etwas länger geblieben zu sein, dann hätte sie ein wenig mit ihm plaudern können – völlig harmlos natürlich. Aber wieso sehnte sie sich überhaupt danach?
Und sie hätte sehr viel länger unten warten müssen. Sie lag seit Stunden im Bett und wälzte sich ruhelos hin und her. Sie hatte wohl auch eine Weile geschlafen und war aus einem merkwürdigen Traum erwacht, in dem ihr geheimnisvoller Juwelendieb sie wieder geküsst, auf seine Arme gehoben und in ein gleißendes Licht getragen hatte. Und sie hatte den Blick gehoben und das schöne Gesicht von Jacobs gesehen.
Völlig absurd. Welcher berüchtigte Juwelendieb würde sich als einfacher Kutscher ausgeben, um eine unerwünschte junge Dame bei ihren Eltern abzuliefern?
Genau so fühlte sie sich. Als unerwünscht, als Belastung. Nicht, dass ihre Eltern ihr je dieses Gefühl gegeben hätten, keineswegs. Ihre Eltern liebten sie, und auch ihr älterer Bruder hatte sie gern. Die Art, wie ihre Eltern einander in die Augen sahen, die innige Liebe, das tiefe Verständnis zwischen ihnen, ließ Jane allerdings wissen, dass ihr selbst dieses Glück niemals beschieden sein würde.
Als sie den schweren Schritt auf der ersten Stufe der Stiege hörte, blieb ihr das Herz stehen, und auf der zweiten Stufe begann es wieder zu schlagen. Hier oben gab es nur die Kammer, in der sie schlief. Jane lag starr in dem Nachthemd, das Mrs Grudge ihr zusammen mit ein paar Toilettenartikeln mitgebracht hatte. Und dann hörte sie wieder einen Schritt. Ihre Hand flog an ihre Kehle.
Sie hatte den Schlüssel in der Tür nicht umgedreht. Dabei kannte sie furchtbare Geschichten von Räubern, die nachts in einsame Herbergen einbrachen und die Gäste in ihren Betten ermordeten.
Jane hatte die Schritte erkannt, Jacobs’ Schritte. Aber wieso in aller Welt kam sie auf die Idee, ein gut aussehender Kutscher könne ein Auge auf eine graue Maus wie sie geworfen haben?
Außerdem war er weit unter ihrem Stand, ein einfacher Knecht, ein Niemand. Man unterhielt sich nicht mit dem Gesinde; man nahm nicht einmal Notiz von ihm. Ihre Eltern hatten zwar eine andere Einstellung und behandelten das Personal in Montague House freundlich und respektvoll.
Auch die Rohans waren nicht überheblich. Allerdings käme eine junge Dame von Stand niemals auf die Idee, mit einem Kutscher ins Bett zu hüpfen, mochte er noch so umwerfend aussehen. So etwas machte man einfach nicht.
Eine unbescholtene Verlobte sollte schon gar nicht daran denken, mit einem anderen Mann das Bett zu teilen, abgesehen von ihrem Ehemann – und zwar nach der feierlichen Trauung in der Hochzeitsnacht. Zu dumm, dass sie der bevorstehenden Hochzeitsnacht nicht mit ähnlich banger Erwartung entgegensah, wie
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