Zeit der Hingabe
den Kutscher abgelöst hatte.
Wobei er sich fragte, ob Lucien de Malheur fähig wäre, sich zu verlieben. Allerdings hatte er den Freund nie zuvor so gereizt und aufbrausend erlebt wie in letzter Zeit. Ein ziemlich sicheres Zeichen, dass ihn Liebeskummer plagte, dachte er grinsend.
Lucien, stets darum bemüht, sich gefühlskalt zu geben, würde ihn verfluchen, wenn er wüsste, dass Jacob, der sich gern verliebte, ihm diesen Gemütsaufruhr wünschte. Er liebte alle Frauen, mit denen er schlief, verließ sie allerdings auch leichten Herzens, ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden.
Im Falle von Miss Jane Pagett wäre alles ganz anders. Erstens würde er sich nicht mit ihr einlassen und sie zweitens nicht verlassen, weil er sich erst gar nicht in sie verlieben durfte. Eine Affäre mit der entzückenden Kleinen würde ihm nur Scherereien bringen, und die hatte er so nötig wie einen Kropf. Er hatte den Kutscher lediglich abgelöst, um sich und dem Skorpion zu beweisen, dass er nicht schwach werden würde. Jener nächtliche Kuss hatte ihn zwar berauscht, aber er würde es nicht wieder tun. Er würde nicht einmal mit ihr sprechen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Wenn sie ihn aus ihren bezaubernden braunen Augen ansah, hatte er nämlich das Gefühl, sie durchschaue ihn.
Nicht in der Art, wie adelige Herrschaften durch Menschen hindurchschauten, die sie für nicht standesgemäß erachteten und deshalb wie Luft behandelten. Nein, Miss Pagett hatte sich besorgt gezeigt, weil er im Regen auf dem Kutschbock sitzen musste und ihm nicht einmal den Stuhl vor dem Feuer streitig gemacht. Das törichte Mädchen hätte ihm sogar gestattet, sich neben sie zu setzen.
Verdammt! Er könnte ihr im Handumdrehen unter die Röcke gehen, so unschuldig und vertrauensvoll, wie sie war. Dabei bevorzugte er erfahrene Frauen, die sich keine großen Illusionen machten. Was sollte er mit einer Unschuld anfangen, nur weil ihre Lippen honigsüß schmeckten?
Jedenfalls würde er noch eine Nacht in einem Dorfgasthof schadlos überstehen.
Am nächsten Morgen wurde eine kleine Armee strammer Mägde in Pawlfrey House vorstellig, denen Miranda ihre Arbeiten zuwies, einschließlich Mrs Humber und Bridget. Sie selbst band sich Kopftuch und Schürze um, rollte die Ärmel hoch und packte tatkräftig mit an. Sie konnte ebenso gut putzen und Staub wischen wie jede andere Frau, und außerdem gewährleistete ihre Mitarbeit, dass das Haus gründlich gesäubert wurde.
Es dauerte fünf Tage, bis Pawlfrey House von oben bis unten geschrubbt, gewischt und poliert war. Miranda fiel jeden Abend völlig erschöpft ins Bett, zu müde, um ein Bad zu nehmen, und zu barmherzig, um die überarbeiteten Mägde auch noch Wassereimer auf ihr Zimmer schleppen zu lassen. Nachdem das ganze Haus vor Sauberkeit blitzte, nach Bohnerwachs und Zitronenöl duftend, stand sie glücklich und zufrieden in der großen mit mittelalterlichen Waffen geschmückten Eingangshalle.
Mrs Humber betrachtete sie mit Leichenbittermiene. Nach anfänglichem Sträuben hatte sie ihre störrische Haltung aufgegeben und widerwillig Mirandas Anweisungen befolgt. „Er wird nicht einmal Notiz davon nehmen. Die ganze Arbeit war völlig umsonst.“
„Ich nehme Notiz davon“, entgegnete Miranda seelenruhig. „Als Nächstes brauchen wir Maler.“
„Maler? Wollen Sie ein Porträt von sich anfertigen lassen?“, fragte sie verächtlich.
„Nein. Lord Rochdales Privaträume brauchen frische Farbe. Es ist alles schrecklich düster und schäbig. Man sieht ja selbst bei Tageslicht kaum die Hand vor Augen. Außerdem brauchen wir neue Vorhänge. Gibt es in der nächsten Ortschaft einen Tuchhändler?“
„Seine Lordschaft will es in seinem Schlafzimmer dunkel haben.“
„Seine Lordschaft will es in seinem ganzen Leben dunkel haben. Doch dann hätte er nicht den Fehler begehen dürfen, mir einen Heiratsantrag zu machen“, erklärte sie in dem liebenswürdig flötenden Tonfall, den sie sich normalerweise für Lucien vorbehielt. Seine heimtückische Entführung als Heiratsantrag zu bezeichnen entsprach nicht den Fakten, aber ihr zäher Kampf mit Mrs Humber zwang Miranda, ihre Vormachtstellung zu behaupten. „Wir wollen keine Zeit verlieren, da ich alle nötigen Arbeiten vor seiner Rückkehr erledigt haben möchte.“
Mrs Humber machte ein entsetztes Gesicht. „Ich rate Ihnen davon ab, Veränderungen in den Privatgemächern Seiner Lordschaft vorzunehmen. Ich sagte Ihnen bereits, wir
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