Zeit der Hingabe
ändern, sobald das Wasser wärmer ist“, erklärte sie mit Bestimmtheit und kam ihm entgegen.
Unversehens trat sie auf eine morsche Stelle. Zunächst gab es ein unheilvolles Knacken, im nächsten Moment barst ein verwittertes Brett unter ihrem Fuß. Diesmal verlor sie den Halt und glaubte, in der nächsten Sekunde in den eisigen Tiefen zu versinken. Aber Lucien packte blitzschnell zu, zerrte sie über das klaffende Loch und presste sie an sich. Während er den anderen Arm um sie schlang, entglitt der Stock seiner Hand, schlitterte über die nassen Planken und fiel klatschend ins Wasser.
Miranda blickte atemlos zu ihm auf. „Danke“, hauchte sie. „Vielen Dank, dass du mir ein kaltes Bad erspart hast.“
Er hielt sie stumm in den Armen und betrachtete sie mit einem seltsamen Ausdruck seiner hellen Augen. Dann löste er sich von ihr und schaute sich suchend um. „Verdammt, ich habe meinen schönsten Stock verloren.“
Auf den kräuselnden Wellen schwamm der Ebenholzstock mit dem glänzenden Goldknauf. „Ein Diener wird das gute Stück aus dem Wasser fischen“, sagte sie.
Lucien zog eine Grimasse. „Schon möglich. Aber beim Versuch, dich zu retten, habe ich mir das Knie verdreht. Ohne Stock werde ich es kaum bis zum Haus schaffen.“ Er sah sie an. „Ich fürchte, ich brauche deine Hilfe.“
Ein seltsamer Moment, dachte Miranda. Umgeben von glitzerndem Wasser, in dem Gefahr und Tod lauerten, sah sie dem Mann in die Augen, der alles verkörperte, was sie hasste und alles, wonach sie sich sehnte. Sie fasste sich rasch. „Kein Problem“, sagte sie. „Leg deinen Arm um meine Schultern, und stütze dich auf mich.“
„Zunächst müssen wir von diesem Steg runter. Ich möchte nicht riskieren, dass du meinetwegen ertrinkst.“
Sie lächelte verschmitzt zu ihm auf. „Nein? Wieso eigentlich nicht? Hast du dich unsterblich in mich verliebt und deine Rachegelüste vergessen?“
„Die vergesse ich niemals“, antwortete er kühl.
„Natürlich nicht.“ Sie legte sich seinen Arm um die Schultern, und als er versuchte, ihn wegzuziehen, versetzte sie ihm einen unsanften Rippenstoß. „Benimm dich gefällst, sonst fallen wir beide ins Wasser. Vorwärts!“
Er ließ sich von ihr den Steg entlang und zwei ausgetretene Holzstufen hinunter ans Ufer führen. Die Anhöhe zum Haus war schwieriger zu bewältigen. Die Anstrengung half Miranda allerdings, ihre Gedanken davon abzulenken, wie groß und stark er war und welche Wärme sein Körper ausstrahlte.
Sie spürte sogar seinen Herzschlag, blickte zu ihm auf, doch er hatte das Gesicht abgewandt. Diese Gesichtshälfte war weniger vernarbt, und sie hielt einen Moment verblüfft inne.
Er war nicht darauf gefasst und blickte finster auf sie herab. „Was ist los?“
„Du bist ein schöner Mann“, sprudelte sie unbefangen heraus, bevor sie sich besann. „Aber als deine Verlobte“, fuhr sie lachend fort, „muss ich dich zwangsläufig schön finden. Schade, dass du so schlechter Laune bist, Liebster. Hattest du Ärger in der Stadt?“
„Mein Bein schmerzt höllisch“, knurrte er. Eine Schwäche einzugestehen erschien ihm noch schlimmer, als ihre Hilfe anzunehmen. Er setzte seine sarkastische Miene wieder auf. „Keineswegs. Ich habe in der Stadt alle Vorbereitungen getroffen und keinen Grund zu klagen. Morgen besuchen wir einen Freund auf seinem Landsitz in der Nähe von Morecambe. Die Fahrt dauert nur ein paar Stunden. Dort findet ein großes Fest statt, eine wahre Orgie.“
„Das klingt märchenhaft.“ Verflixt. Lucien wählte seine Worte niemals ohne Bedacht. Und das Wort Orgie verhieß nichts Gutes. „Ich freue mich darauf, deine Freunde kennenzulernen.“
„Sie werden dich mit Sicherheit ebenso … ergötzlich finden wie ich.“
„Du findest mich ergötzlich, Lucien?“
Sein kühles Lächeln musste ihr als Antwort genügen.
Mittlerweile eilten Bedienstete herbei, die das Paar entdeckt hatten, das sich mühsam schleppend dem Haus näherte. Bridget schnalzte beim Anblick der Schmutzflecke auf dem Kleid ihrer Herrin missbilligend mit der Zunge. Lucien wurde von zwei Lakaien gestützt und weggeführt. Und Miranda versuchte, die unheimliche Ahnung der bevorstehenden Ereignisse abzuschütteln.
Mrs Humber empfing sie in der Eingangshalle. „Der Herr ist zurück.“
„Ja, das habe ich bemerkt“, sagte Miranda knapp. „Er begrüßte mich unten am See.“ Keine freudige Begrüßung, was sie der böswilligen alten Hexe nicht näher erläutern
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