Zeit der Hoffnung - Key of Knowledge (02 Key)
atmete tief durch und versuchte, sich zu konzentrieren.
Als er sie wieder öffnete, sah er sie. Sie ging im Mondlicht auf den Zinnen entlang. Sie war so alleine wie er und träumte vielleicht auch wie er.
Ihr Umhang bauschte sich, obwohl kein Wind ging. Es schien, als hielte die Luft den Atem an. Alle Geräusche der Nacht waren verstummt.
Sein Herz begann heftig zu pochen. Auf den Zinnen begann die Frau sich umzudrehen. Gleich, dachte er, gleich würden sie sich sehen. Endlich …
Die Sonne blendete ihn, und er taumelte ein wenig, weil er aus der dunklen Nacht auf einmal in einem strahlend hellen Tag stand.
Vögel zwitscherten, und in der Nähe toste ein Wasserfall.
Verwirrt versuchte er sich zu orientieren. Das Laub der Bäume war leuchtend grün, und an den Ästen hingen reife Früchte. Die Luft war schwer und üppig, als könne man sie schmecken.
Er ging zwischen den Bäumen entlang zu einem blau schäumenden Wasserfall. In dem Teich der darunter lag schwammen goldene Fische.
Neugierig tauchte er seine Hand hinein. Er spürte das frische, kühle Wasser, als er es jedoch aus seiner Handfläche rinnen ließ, stellte er fest, dass es nicht nur klar, sondern dazu tiefblau war.
Es war fast mehr, als seine Sinne aufnehmen konnten. Die Schönheit war zu intensiv, zu lebhaft, als dass der Verstand sie begreifen konnte. Wie sollte man in der blassen Realität weiterleben, wenn man sie erst einmal erfahren und erlebt hatte?
Auf der anderen Seite des Teiches stand ein Hirsch und trank. Er war riesig, mit glattem, goldenem Fell und einem silbernen Geweih. Als er den Kopf hob, blickten Jordan Augen an, so blau und kühl wie das Wasser zwischen ihnen.
Um den Hals trug er ein juwelenbesetztes Halsband, das in der Sonne funkelte.
Jordan hatte den Eindruck, er spräche, obwohl er nichts hörte und die Worte sich nur in seinem Kopf formten.
Willst du für sie einstehen?
»Für wen?«
Geh hin und schau es dir an.
Der Hirsch drehte sich um und schritt auf seinen Silberhufen majestätisch in den Wald hinein.
Das ist kein Traum, dachte Jordan. Er richtete sich auf und eilte dem Tier nach.
Aber nein, der Hirsch hatte ja gesagt, geh hin und nicht komm. Seinem Instinkt vertrauend, wandte sich Jordan in die entgegengesetzte Richtung.
Er trat zwischen den Bäumen heraus auf eine Lichtung, die mit einem Meer von Blumen übersät war. Sie leuchteten in allen Farben, und jedes einzelne Blütenblatt sah aus wie ein geschliffener Edelstein. Und mitten in der Blütenpracht lagen die kostbarsten Blumen, die Glastöchter, in ihren kristallklaren Särgen.
»Nein, ich träume nicht«, sagte Jordan laut, um sich seiner eigenen Stimme zu vergewissern, bevor er an die Särge trat und in die bereits vertrauten Gesichter blickte.
Die Mädchen schienen zu schlafen. Sie waren unverändert schön, aber es war eine kalte Schönheit, weil sie für ewig in einem Augenblick der Zeit eingefangen war.
Mitleidig und zornig blickte er auf die Tochter, die Dana so ähnlich sah. Er empfand einen Schmerz, wie er ihn seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr erfahren hatte.
»Das ist die Hölle«, sagte er laut, »so zwischen Leben und Tod gefangen zu sein, ohne sich für das eine oder das andere entscheiden zu können.«
»Ja. Du hast es erfasst.« Kane stand ihm gegenüber. Elegant in einem schwarzen Gewand mit einer juwelenbesetzten Krone auf den dunklen Haaren. Er lächelte Jordan an. »Du verfügst über eine Kühnheit der Gedanken, die den meisten deiner Art leider fehlt. Die Hölle, wie du es nennst, ist nur die endlose Abwesenheit von allem.«
»Die Hölle muss man sich verdienen.«
»Ah, Philosophie.« Kanes Stimme klang amüsiert und berechnend zugleich. »Du wirst mir eines Tages noch zustimmen, dass man die Hölle nur erbt. Ihr Vater und seine sterbliche Schlampe haben sie verdammt.« Er wies auf die Särge. »Ich war sozusagen nur das Instrument, das« - er hob die Hand und machte eine drehende Geste - »den Schlüssel umdrehte.«
»Um des Ruhmes willen?«
»Deswegen und um der Macht willen. Wegen all dem hier.« Er breitete die Arme aus, als wolle er seine Welt umfassen. »All dies hier, was niemals wieder ihnen gehören wird. Weiche Herzen und die Schwächen der Sterblichen haben keinen Platz im Reich der Götter.«
»Und doch lieben, hassen, kämpfen, lachen und weinen Götter. Schwächen der Sterblichen.«
Kane legte den Kopf schräg. »Du interessierst mich. Du willst dich streiten, obwohl du weißt, wer und was ich bin?
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