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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
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idiotisch? Mädchen werden tatsächlich von heute auf morgen zu Frauen. Das ist schade. Gerade noch war sie mir so vertraut, war sie so kindlich. Ist zu mir gekommen, wenn’s ihr nicht gut ging und hat mich gefragt, ob ich mit ihr was spiele. Und jetzt? Ich hasse das. Ich sage euch, Eltern glauben immer, sie wären der Regisseur, aber in Wahrheit sind sie nur Zuschauer. Und wenn die Vorstellung so richtig in die Gänge kommt, werden sie aus dem Saal gebeten. Einfach so. Was soll’s. Vielleicht sollte ich auch wieder einmal zu dieser Therapie gehen. Die letzten beiden Termine habe ich abgesagt.
    Jedenfalls muss ich mich, wenn ich trinken möchte, sofort disziplinieren und irgendetwas anderes tun. Mich ablenken. Ich nehme also meine Gitarre zur Hand und versuche erneut die Muse zu küssen. Die Muse selbst scheißt nämlich auf mich. Aber wie heißt es? Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten. Da läutet mein Handy.
    »Hallo?«
    »Cornelius, bist du das?«, fragt eine verheulte Stimme.
    »Ja, wer ist da? Bist du das, Johanna?«
    »Nein, verflucht! Hier ist Andrea.« Bobs Frau.
    »Oh, hallo. Na, wie geht’s dir?«
    »Kann ich zu dir kommen? Hast du kurz Zeit?«
    »Ja, sicher. Ich bin da.«
    »Gut, danke.«
    Na toll, jetzt darf ich auch noch die betrogene Ehefrau trösten. Wenn es so etwas wie eine Vorsehung gibt, hat sie anscheinend alle Scheißjobs für mich reserviert. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich darauf freue, sie zu sehen. Andrea ist wirklich in Ordnung. Ich habe sie immer gern gehabt. Sie ist so um die fünfzig, schätze ich, vielleicht achtundvierzig, aber noch sehr attraktiv. Sie hat mich immer an Anne Bancroft erinnert. Jessas, Anne Bancroft, was für eine Frau! Früher einmal war ich sogar in sie verliebt. In Andrea, meine ich. (In Anne Bancroft, möge sie in Frieden ruhen, bin ich immer noch verliebt.) Da war sie aber schon lange verheiratet, und ich hätte ihr das auch nie gesagt. Ich hatte immer das Gefühl, sie weiß es. Frauen sind da unglaublich. Aber ihr könnt mir glauben, ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, bevor ich irgendwas in ihre Richtung unternommen hätte. Vielleicht bin ja ich hier der Idiot, vielleicht ist aber auch nur mein moralisches Empfinden etwas überdurchschnittlich ausgeprägt. Ich meine, Bob wollte mich mit Johanna verkuppeln und hat sie sich dann selbst geschnappt, Herrgott! Und schuld an allem ist wieder einmal nur der Körper.
    Gut, diese Theorie teilt vielleicht nicht jeder mit mir – wahrscheinlich niemand –, aber passt auf: So ein Körper ist gespickt voll mit destruktiven Kräften. Wenn du nicht aufpasst, genügt ein bisschen Staub oder Regen, und schon bist du krank. Vielleicht muss er das aber auch sein, wo er doch irgendwann ohnehin leblos zurückbleiben muss.
    Was ich sagen will, ist, dass ich denke, dass die Liebe, wenn sie körperlich unerfüllt bleibt, wenn sie also nicht auf die Erde geholt und festgenagelt wird, es schafft, zu bestehen. Nehmt einfach mich und Andrea. Sicher, Liebe ist ein strapaziertes Wort, aber ob’s jetzt ein naives Verknalltsein ist oder nur eine unerklärliche Spannung zwischen zwei Menschen, es ist immer irgendeine Form von Liebe. Jedenfalls bleibt diese Spannung irgendwie aufrecht, wenn der Körper der Liebe nicht in die Quere kommt, versteht ihr? Ist ja egal jetzt, aber es ist fast zwanzig Jahre her, dass ich etwas für Andrea übrig hatte, und selbst jetzt überkommt mich noch ein mulmiges Gefühl, wenn sie auftaucht. Und ich sage euch, es ist dasselbe Gefühl wie damals. Es ist gespeichert in mir. So wie alle Träume und Sehnsüchte, die man als junger Mensch hat, in einem bleiben, und wenn du dich nicht um sie kümmerst, holen sie dich später ein und du rechtfertigst deine Verwirrtheit oder dein Durchdrehen dann mit Midlife-Krise. Was soll’s, immerhin lenkt mich dieses Gefühl von meiner Wut ab. Es ist ein kleines, völlig harmloses, unschuldiges Gefühl, und ich behaupte einmal, dass die meisten Fünfunddreißigjährigen Gefühle dieser Art längst vergessen oder verdrängt haben.
    »Oh, Cornelius, danke, dass du Zeit für mich hast.« Sie umarmt mich.
    »Kein Problem. Willst du einen Kaffee?«
    »Ja, bitte. Hast du dir einen Zahn ausgeschlagen?«
    »Äh …« Ich mache uns also Kaffee.
    »Cornelius, ich habe Angst.«
    »Willkommen im Club.«
    »Nein, ich meine, ich habe eine ganz konkrete Angst.«
    »Das ist doch verständlich. Ich meine, wenn ich du wäre.«
    »Nein, es hat nichts

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