Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
nickte. Der Posten grinste.
»Er hat sich schon gedacht, das Sie wahrscheinlich persönlich aufkreuzen«, sagte er. »Fahren Sie durch.«
Er ging zurück in das Wachhaus und öffnete den Schlagbaum. Reacher fuhr vorsichtig über die im Boden eingelassenen Stachelsperren und bog links ab.
»Das war ja einfach«, meinte Harper.
»Sind Sie schon mal einem FBI-Agenten im Ruhestand begegnet?«, fragte Reacher.
»Klar, ein oder zwei Mal. Ein paar von den alten Jungs.«
»Wie haben Sie die behandelt?«
Sie nickte. »Genauso wie der Typ Sie, glaube ich.«
»Das ist bei allen Apparaten das Gleiche, ob beim Militär oder bei einer Behörde«, sagte er. »Bei der Militärpolizei vielleicht noch mehr als anderswo. Da man bei der ganzen übrigen Truppe verhasst ist, hält man umso mehr zusammen.«
Er bog rechts ab, fuhr ein weiteres Mal rechts, dann links.
»Sind Sie schon mal hier gewesen?«, wollte Harper wissen.
»Diese Stützpunkte sind alle gleich«, erwiderte er. »Man muss nur Ausschau nach dem größten Blumenbeet halten, denn dort sitzt die Generalität.«
Sie deutete nach vorn. »Das sieht viel versprechend aus.«
Er nickte. »Sie haben’s kapiert.«
Das Licht der Scheinwerfer erfasste ein Rosenbeet, das von der Größe her mit jedem olympischen Schwimmbecken mithalten konnte. Kahle, zurückgeschnittene Strünke ragten aus der mit Pferdemist und Rindenmulch versetzten Erde, die rund um die Rosenstöcke aufgehäuft war. Dahinter befand sich ein niedriges Gebäude mit einer geweißten
Treppe in der Mitte, die zu einer Doppeltür führte. Aus einem Fenster im linken Flügel fiel Licht.
»Die Stube des Offiziers vom Dienst«, erklärte Reacher. »Sobald wir das Tor passiert haben, hat der Posten den Captain angerufen, und der geht jetzt den Korridor entlang zur Tür. Achten Sie auf das Licht.«
Die Oberlichter über der Tür leuchteten gelb auf.
»Jetzt die Außenbeleuchtung«, sagte Reacher.
Zwei an den Türpfosten angebrachte Laternen gingen an. Reacher blieb am Fuß der Treppe stehen.
»Jetzt geht die Tür auf«, sagte er.
Die beiden Türflügel wurden nach innen geöffnet, und ein Mann in Uniform trat heraus.
»Genau wie ich, vor etwa einer Million Jahren«, stellte Reacher fest.
Der Captain wartete oben an der Treppe, so dass er zwar im Schein der Laternen stand, aber vor dem Nieselregen geschützt war. Er war einen Kopf kleiner als Reacher, hatte breite Schultern und sah durchtrainiert aus. Dunkle, ordentlich gekämmte Haare, eine schlichte Nickelbrille, zugeknöpfte Uniformjacke. Er wirkte offen und umgänglich. Reacher stieg aus dem Nissan und ging um ihn herum. Harper stieß am Fuß der weiß getünchten Treppe zu ihm.
»Kommen Sie ins Trockene!«, rief der Captain.
Dem Akzent nach zu schließen, stammte er aus einer der großen Städte an der Ostküste. Er wirkte klug und aufgeweckt, lächelte freundlich. Allem Anschein nach ein ganz umgänglicher Typ. Reacher stieg zuerst die Treppe hinauf. Harper sah die feuchten Flecken, die seine Schuhe auf den weißen Stufen hinterließen, blickte zu Boden und stellte fest, dass es bei ihr nicht anders war.
»Entschuldigung«, sagte sie.
»Keine Ursache«, meinte der Captain. »Die Häftlinge streichen sie jeden Morgen.«
»Das ist Lisa Harper«, sagte Reacher. »Sie ist vom FBI.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, erwiderte der Captain. »Ich bin John Leighton.«
Sie schüttelten sich unter der Tür die Hand, dann führte Leighton sie hinein. Er schaltete erst die Laternen draußen aus, anschließend die Flurbeleuchtung.
»Sparmaßnahmen«, erklärte er. »Wir dürfen kein Geld verschwenden.«
Er führte sie auf den Lichtschein zu, der aus seinem Büro in den Korridor fiel, blieb vor der Tür stehen und ließ sie eintreten. Das Büro war ganz im Stil der fünfziger Jahre eingerichtet, und nur da, wo es unbedingt notwendig war, auf den neuesten Stand gebracht. Alter Schreibtisch, neuer Computer, alter Aktenschrank, neues Telefon. Die Bücherregale an den Wänden waren überladen, und auf jeder freien Fläche türmten sich Berge von Papier.
»Die halten Sie ganz schön auf Trab«, bemerkte Reacher.
Leighton nickte. »Das kann man wohl sagen.«
»Dann wollen wir zusehen, dass wir Sie nicht zu lange aufhalten.«
»Keine Ursache. Ich habe nach Ihrem Anruf ein bisschen herumtelefoniert. Der Freund eines Freundes hat mir dazu geraten, mich darauf einzulassen. Es heißt, Sie wären ein anständiger Kerl gewesen, jedenfalls für einen
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