Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Ein Dasein, wie es unter zivilisierten Menschen üblich ist. Ein Haus, ein Auto, ein fester Wohnsitz, ein geregeltes Leben.«
Er sagte nichts.
»Vermutlich ist das mein Fehler«, sagte sie. »Ich wollte all das haben. Herrgott, ich hab mich so danach gesehnt. Irgendwie fällt es mir sehr schwer, mich damit abzufinden, dass du das nicht willst.«
»Ich will dich«, sagte er.
Sie nickte. »Das weiß ich. Und ich will dich. Das weißt du auch. Aber wollen wir auch unser Leben miteinander teilen?«
Der Wandertrieb begehrte wieder auf, schrie und kreischte und reckte sein trotziges Haupt, als wollte er den Stürmer anfeuern, der gerade den tödlichen Steilpass erlaufen hatte und schnurstracks das gegnerische Tor ansteuerte. Sie hat ’ s gesagt! Sie hat ’ s gesagt! Jetzt isses soweit, jetzt isses raus! Geh drauf ein! Nutz es aus! Nimm die Chance wahr!
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er.
»Wir müssen darüber reden«, sagte sie.
Doch sie kamen nicht dazu, nicht in diesem Moment, denn plötzlich schellte die Haustürglocke laut und anhaltend, als ob unten jemand Sturm klingelte. Jodie stand auf, betätigte den Öffner und ging dann zur Wohnungstür. Reacher blieb sitzen, betrachtete die Granitplatte und den funkelnden Gneis und Glimmer. Er hörte, wie der Aufzug anhielt, wie Jodie die Tür öffnete und sich mit jemandem unterhielt, der eindringlich auf sie einredete. Dann vernahm er leise, rasche Schritte, und im nächsten Moment kam Jodie in die Küche zurück, begleitet von Lisa Harper.
15
Harper trug noch immer ihren zweiten Anzug, und ihre Haare hingen nach wie vor offen über die Schulter, aber ansonsten war sie kaum wiederzuerkennen. Von ihrer lässig lockeren Art war nichts mehr zu spüren. Sie wirkte nervös und angespannt, hatte rot verquollene Augen und war völlig aufgelöst.
»Was ist los?«, fragte er.
»Der Teufel«, erwiderte sie. »Es geht alles drunter und drüber.«
»Wo?«
»In Spokane«, entgegnete sie.
»Nein«, sagte er.
»Doch«, erwiderte sie. »Alison Lamarr.«
Danach herrschte einen Moment lang Schweigen.
»Scheiße«, flüsterte er.
Harper nickte. »Scheiße, ganz genau.«
»Wann?«
»Gestern. Er mordet schneller. Er hält sich nicht mehr an
die Zeitspanne. Eigentlich hätte er erst in zwei Wochen wieder zuschlagen dürfen.«
»Wie?«
»Genau wie die anderen. Die Ärzte im Krankenhaus wollten ihr mitteilen, dass ihr Vater gestorben war, und als niemand ans Telefon ging, haben sie die Polizei verständigt. Die Cops sind rausgefahren und haben sie gefunden. Sie lag tot in einer Badewanne voller Farbe, genau wie die andern.«
Wieder Schweigen.
»Aber wie, zum Teufel, ist er da reingekommen?«
Harper schüttelte den Kopf. »Er ist einfach durch die Tür spaziert.«
»Scheiße, ich kann’s nicht fassen.«
»Das Haus wurde versiegelt. Man will einen Trupp Kriminaltechniker aus Quantico hinschicken, die sämtliche Spuren sichern sollen.«
»Die werden nichts finden.«
Harper blickte sich unruhig in Jodies Küche um.
»Blake möchte Sie wieder hinzuziehen«, sagte sie. »Er ist inzwischen davon überzeugt, dass Ihre Theorie stimmt. Er glaubt jetzt, dass es um elf Frauen geht, nicht um einundneunzig.«
Reacher sah sie an. »Was soll ich dazu sagen? Lieber zu spät als nie?«
»Er möchte Sie zurückholen«, sagte sie noch einmal. »Die Sache wächst uns über den Kopf. Wir brauchen unbedingt jemanden, der Beziehungen zur Army hat. Und seiner Meinung nach haben Sie bewiesen, dass Sie beste Beziehungen haben.«
Danach herrschte betretenes Schweigen, und Harper wurde klar, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Jodie wandte sich von ihr ab und betrachtete die Kühlschranktür.
»Du solltest mitkommen, Reacher«, sagte sie.
Er ging nicht darauf ein.
»Lass deine Beziehungen spielen«, meinte sie. »Zeig, was du kannst.«
Er kam mit. Ein Dienstwagen von der Außenstelle in New York stand unten am Straßenrand, und am Steuer saß der gleiche Typ, der den Wagen gefahren hatte, in dem Reacher mit vorgehaltener Waffe von Garrison nach New York gebracht worden war. Er verzog keine Miene, ließ sich nicht anmerken, ob er Reacher wiedererkannte. Schaltete einfach das rote Blinklicht ein und fuhr los, in Richtung Westen, nach Newark.
Auf dem Flugplatz war der Teufel los. Sie kämpften sich durch das Gedränge und stellten sich gerade am Schalter der Continental Airlines an, als ihre Buchung aus Quantico einging. Zwei Sitze in der Touristenklasse. Sie rannten zum Flugsteig
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