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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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und ging ihn begrüßen.
    »Hallo«, sagte sie durch das Fliegengitter hindurch.
    »Hallo.« Er lächelte sie an. »Entschuldigen Sie, dass ich so hereinplatze, aber ich habe überlegt, wozu ich heute Morgen Lust hätte, und da sagte ich mir, ich würde mir gern Robert-Johnson-Platten anhören. Und dann dachte ich, vielleicht haben Sie ja auch Lust, und bin einfach nicht zur Arbeit gegangen.«
    »Aha. Und Hughes erzählt mir immer, was für ein guter Arbeiter Sie sind.«
    Seine Hand an ihrem Bein, während sie an ihrer Serviette herumnestelte.
    »Ja, Ihr Lieutenant nimmt alles sehr ernst.«
    »Stimmt«, sagte Nick.
    Charlie rückte die Schallplatten unter seinem Arm zurecht. Er trug eine Khakihose und ein Baumwollhemd, Segelschuhe und dieses Spelunkengrinsen.
    Nick zupfte den Dreck zwischen den Fliegengitterdrähten heraus.
    »Hören Sie«, sagte er nach einer kleinen Weile, »vielleicht war es ja etwas ungestüm von mir. Sie haben bestimmt viel zu tun, und ich halte Sie nur auf.«
    Nick sah ihn nachdenklich an. »Nein, ich könnte ein bisschen Musik durchaus gebrauchen.« Sie stieß die Tür auf und ging zur Seite. »Bitte schön.«
    Charlie trat ein und legte die Schallplatten auf den Tisch.
    »Warten Sie hier und machen Sie es sich bequem. Ich ziehe mir schnell etwas Passenderes an. Musik darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Nick und schenkte ihm zum ersten Mal ein Lächeln.
    Im Schlafzimmer schlüpfte sie in ihr grüngestreiftes Sommerkleid und schminkte sich die Lippen rot. Dann ging sie in die Küche zurück und brühte frischen Kaffee auf. Mit dem Rücken an die Theke gelehnt, sah sie zu, wie Charlie am Frühstückstisch die Platten durchging. Einige Papphüllen waren schon abgenutzt und lösten sich an den Ecken auf. Hughes würde nie etwas, das ihm wichtig war, so verkommen lassen, dachte sie. Jedes einzelne Werkzeug wurde sauber gehalten und sorgsam in den Kasten zurückgelegt, wenn er es nicht mehr brauchte. Selbst seine Zahnbürste im Badezimmerschrank steckte in einer eigenen Hülse. Aber genau das rührte sie, diese an einen Schraubenzieher oder eine Zahnbürste verwendete Sorgfalt und Mühe.
    »Ich denke, wir beginnen die Nachhilfe mit dieser hier«, sagte Charlie.
    Nick saß auf einem der Chintzsessel und umklammerte ihren Kaffee, während Charlie die Nadel auf den Schellack legte. Die Musik war rauher als der Blues, den sie kannte, doch sie hatte etwas Heimeliges, wie ein abgewetztes, schlammbraunes Stück Treibholz. Aber der sonnige grüne Rasen und die Palmen, die sich im Wind bogen und wieder streckten, sorgten dafür, dass diese Musik Nick nicht traurig machte, sondern so unbeschwert, als könnte sie mit ihr davonwehen.
    Der Dunst über dem Gras lockte, und die Veranda schien nach oben und vom Haus weg und über den Kanal zu schweben. Nicks Rock bauschte sich, sie legte den Kopf an die Rückenlehne des Sessels. Irgendwo in den Nebelschleiern tönte der einsame Ruf einer Trauertaube.
     
    Nick wusste nicht, wie lange sie so dahingetrieben war, doch als die Musik verstummte, zwang sie sich, die Augen zu öffnen. Charlie Wells saß in seinem Sessel und betrachtete sie, musterte sie, als wollte er sie katalogisieren.
    »Hat es Ihnen gefallen?«
    »Ja, wirkt irgendwie belebend, oder?« Mehr wusste sie nicht zu sagen, ohne von dem zu sprechen, was wirklich in ihrem Herzen vorging – vom Fliehen, von diesem grauenhaften Bungalow, von einem kaputten Radio und von Hughes’ Hand ganz unten an ihrem Rücken.
    Charlie erwiderte nichts. Er betrachtete seine Fingernägel. Nach ein paar Sekunden hob er den Blick, als wäre ihm das, woran er gedacht hatte, wieder entfallen. »Haben Sie Hunger?«, fragte er. »Ich schiebe nämlich gewaltigen Kohldampf.«
    »Ich könnte ein paar Sandwiches machen. Unser Vorratsschrank ist momentan leider in einem erbärmlichen Zustand. Ich habe es nicht so mit dem regelmäßigen Einkaufen.«
    »Vergessen Sie die Sandwiches! Wir fahren in die Stadt, ich lade Sie zum Essen ein.«
    »Ein großzügiges Angebot«, sagte Nick. »Ein bisschen zu großzügig, um genau zu sein.«
    »Keine Sorge. Ich kenne ein spanisches Lokal in der Altstadt, Tapas. Die sind nicht so teuer. Haben Sie schon mal Tapas gegessen?«
    Nick lachte. »Ich weiß nicht mal, was das ist.«
    »Schmeckt gut. Verschiedene kleine Gerichte, die man alle probieren kann. Vor dem Krieg habe ich in Spanien mal Tintenfisch gegessen. Ich hatte noch nie einen echten Tintenfisch gesehen, und dann aß ich

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