Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
Vom Netzwerk:
nicht seine Schuld gewesen. Er war ihr Kind, und sie hatte ihn im Stich gelassen. Es war wegen des toten Mädchens passiert, das er gesehen hatte. Nein, das stimmte nicht. Das tote Mädchen war später gewesen. Sie brauchte ihre Tabletten. Warum gab ihr die Hexe keine mehr?
     
    »Bill gibt eine Party.« Avery saß auf dem Fußboden in seinem Büro; rings um ihn verstreut lagen Bewerbungsfotos junger Schauspielerinnen. »Eine Party mit sehr wichtigen Leuten. Und du weißt ja, wie hübsch Bill dich findet. Deshalb möchte er seine Party gern mit dir schmücken. Er … also, er bezahlt auch dafür.«
    »Was soll das heißen? Was hat das zu bedeuten, Avery?« Helena wurde heiß und kalt.
    »Nein, nein, nichts dergleichen«, sagte Avery, als er ihre Miene sah. Er stand auf und legte ihr den Arm um die Schulter. »Er möchte einfach nur, dass du dabei bist, ein Glas Champagner trinkst und dich mit ein paar Leuten unterhältst. Du weißt ja gar nicht, wie umwerfend du bist! So umwerfend, dass man sogar zahlt, nur um dich ansehen zu dürfen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Avery lachte. »Du verstehst Hollywood nicht, meine Süße. Aber genau das liebe ich so an dir. Nach fast fünfzehn Jahren immer noch rein und unbefleckt.« Er drückte seinen Mund auf ihren.
    »Mutter?«
    Als Helena sich umdrehte, stand ihr Sohn da. Sein Kopf stieß fast an den Rahmen der niedrigen Tür. Wann war er nur so groß geworden?
    Avery schubste Helena weg und blickte sie vorwurfsvoll an. »Warum schaut er uns immer zu? Warum lauert er ständig an der Tür?«
    »Avery!«
    »Ed, was sich zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen zwei verliebten Menschen, abspielt, ist Privatsache. Sie können tun und lassen, was sie wollen, verstanden? Du hast nicht ständig zu gaffen wie ein Spanner!«
    »Avery!«, wiederholte Helena in scharfem Ton. »Hör auf damit!« Sie wandte sich an Ed: »Entschuldige, mein Schatz, ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn zu fragen. Avery, Ed hat mich gebeten, dich zu fragen, ob er dir bei deiner Arbeit helfen darf. Er ist jetzt fünfzehn und möchte mit anpacken. Er weiß ja, wie hart du arbeitest.«
    »Ich bin kein Spanner«, sagte Ed. »Ich betreibe Nachforschungen, genau wie du.«
    Avery musterte Ed eindringlich. Dann nickte er langsam, als hätte er eine Entscheidung getroffen. »Gut. Du wirst allmählich ein Mann, das sehe ich. Ein Mann hat das Recht zu arbeiten und frei zu sein und etwas zu schaffen. Daran glaube ich.«
    Helena fühlte sich unbehaglich. »Avery, ich möchte nicht, dass du ihm die Fotos von du weißt schon was zeigst. Bitte. Und Ed, du musst auch deine Schulsachen erledigen. Ich will nicht, dass du dich den ganzen Tag in einem dunklen Raum vergräbst.«
    »Nein, Mäuschen. Wenn Ed ein Mann ist, behandle ich ihn auch wie einen. Er ist jetzt so weit.«
    Ed stand da und sah seinen Vater an, aber Helena konnte seinem Gesicht nichts ablesen. Vielleicht war das Ganze alles andere als eine gute Idee, dachte sie, während sie erst die beiden und dann das Zimmer mit den vergilbten Plakaten und den halbzerfallenen Kleidungsstücken betrachtete.
    Sie wollte nicht, dass ihr Sohn die grauenhaften Tatortfotos sah. Aber sie wollte, dass die beiden mehr Zeit miteinander verbrachten, das stimmte. Sie hatten sich nie nahegestanden; Avery hatte seinen Sohn immer wie ein lästiges Anhängsel seiner Frau betrachtet. Sie beschloss, den Sommer wieder gemeinsam mit Ed in Tiger House zu verbringen, ihn ein bisschen rauszuholen, weg von Avery, ihn Tennis spielen und mit Daisy herumlaufen zu lassen, damit sich die Situation nicht weiter verschärfte.
    »So, jetzt möchte ich mit deiner Mutter sprechen, mein Sohn, und zwar allein«, verkündete Avery. »Und denk bloß nicht, ich merke es nicht, wenn du lauschst!«
    Als Ed den Raum verlassen und Avery noch ein Weilchen gewartet hatte, um sicher sein zu können, dass sein Sohn weg war, sagte er zu Helena: »Also, gehst du nun zu Bills Party?«
    »Ja. Aber nur, wenn es nichts … nichts Unübliches ist.«
    »Solange du es nicht unüblich findest, dass sich Männer gern wunderschöne Mäuschen ansehen …«
    »Avery …«
    »Hör zu, da wäre noch etwas. Dr. Hofmann hat angerufen und mir mitgeteilt, dass du in letzter Zeit kein einziges Rezept hast erneuern lassen. Er macht sich Sorgen und ich auch.«
    »Ich werde so müde davon. Und Ed ist schließlich kein Baby mehr. Ich kann ihn nicht mehr einfach zum Spielen schicken oder in seinem Zimmer festhalten. Er könnte mich ja wegen

Weitere Kostenlose Bücher