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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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betrachtete die junge Frau. »Meine Freundin? Also, für Freundinnen bin ich inzwischen wohl ein bisschen zu alt. Da könnte ich gar nicht mehr mithalten. Außerdem werden die Mädchen immer dünner. Ich mag es eher … na ja, so, wie Sie sind, rund und weich.«
    Helena griff nach einem weiteren Glas Champagner. »Entschuldigen Sie, aber ich gehe mir mal die Nase pudern.«
    In der Toilette nahm sie eines der für die Gäste bereitstehenden Wassergläser und spülte eine zweite Tablette hinunter. Sie wünschte, Avery wäre da. Sie war im Lauf der Jahre nur ein paarmal im Haus von Bill Fox gewesen und nie ohne ihren Mann. Sie fragte sich, wie viel Bill Fox ihm wohl zahlte. Viel, hoffte sie. Sie konnte nicht fassen, dass er sie hierhaben wollte. Er hatte seine Hände schon immer gern wandern lassen, aber bei ihr auch nicht mehr als bei allen anderen. Und mittlerweile war er alt. Mit seinem silbergrauen Haar war er ihr schon alt erschienen, als sie ihn kennenlernte, damals im Ciro’s. Jetzt hatte er Altersflecken an den Wangen und Hände wie ein Hutzelweib. Sie schüttelte sich. Sie musste einfach nur hübsch aussehen und nett sein und dann nach Hause gehen und schlafen.
    Einige Stunden später fand sie sich mit Bill Fox auf dem Balkon wieder. Alle anderen waren gegangen, ohne dass sie es mitbekommen hatte. Sie hatte mit einer der Schauspielerinnen geplaudert, die sich über die Besetzungscouch beklagte, wobei ihr Haupteinwand dagegen nicht den Sex betraf, sondern die Tatsache, dass es hinterher nie ein Abendessen gab. Helena nickte und trank und trank noch ein bisschen mehr. Und plötzlich schwebte das Mädchen davon, und übrig blieben nur sie und Bill Fox auf dem Balkon. Sie wusste, was der Produzent wollte. Sie hatte es den ganzen Abend hindurch gewusst. Dazu brauchte man kein Genie zu sein. Er lehnte am Rahmen der hohen Balkontür und lächelte sie an.
    Auf dem Weg zum Gästehaus stolperte Helena auf einer Stufe und vertrat sich den Fuß. Bill Fox fasste sie am Ellbogen.
    »Aufpassen, Herzchen«, flüsterte er.
    »Warum gehen wir zu mir nach Hause?« Sie wusste es nicht mehr.
    »Weil du dich dort wohler fühlst.«
    »Avery«, sagte sie.
    »Er ist nicht da, Herzchen. Er muss arbeiten – schon vergessen?«
    Sie hatte es vergessen.
    Im Schlafzimmer bestand er darauf, das Licht brennen zu lassen.
    »Ich will dich sehen. Ich will sehen, wofür ich bezahle. Als ich das letzte Mal bezahlen musste, war ich sechzehn.« Er kicherte.
    Helena lachte mit, obwohl sie wusste, dass er den Scherz nicht ihretwegen gemacht hatte.
    Der Produzent stöhnte laut, während er sich auf ihr bewegte. Er war kurzatmig. Er war alt. Am liebsten hätte Helena über den alten Mann gelacht, der eine Pflegerin nötiger hatte als ein Schäferstündchen. Aber dann würde er wütend werden, und sie würden kein Geld bekommen. Deshalb ließ sie ihn weiterächzen und starrte die Wand an.
    »Du bist ja doch eine Schlampe«, hustete er ihr ins Ohr. »Ich hab’s immer gewusst.«
    Jetzt würde er nicht mehr lange brauchen.
    »Mutter?«
    Helenas Körper wurde steif wie ein Brett. Das Keuchen des Produzenten, das Licht, das Bett, alles wirbelte durcheinander wie Wasser über dem Abfluss. Nein, das durfte nicht wahr sein.
    »Mutter?«
    Ed. Wie hatte sie ihren Sohn vergessen können? Sie stieß den Produzenten so heftig von sich, dass er stöhnend und hustend seitlich aus dem Bett fiel. Sie setzte sich auf und bedeckte mit einem Arm ihre Brüste.
    Ed stand im Schlafanzug an der Tür. Sie fragte sich, wie sie darauf gekommen war, dass er groß sei. Er war noch ein kleiner Junge, aber seine Augen waren stumpf, hart. Er musterte sie eher neugierig als ängstlich oder wütend.
    »Ed«, sagte sie. Weiter fiel ihr nichts ein.
    Ed sah zum Produzenten hinüber, der jetzt hinter der Matratze hervorlinste. Seine Kleider waren zu weit weg, als dass er sie hätte erreichen können, ohne sich zeigen zu müssen.
    »Hör zu, mein Sohn …«, sagte er.
    »Ich bin nicht Ihr Sohn«, warf Ed sehr sachlich ein. »Sie haben hier nichts zu suchen. Meiner Mutter geht es nicht gut.«
    »Ich wollte ja nur …« Auch der Produzent schien nicht weiterzuwissen.
    Doch Ed rührte sich nicht vom Fleck. Er blieb regungslos stehen, bis der alte Mann schließlich doch losstürmte, seine Kleider zusammenraffte und floh. Hätte es ihr nicht gerade das Herz zerrissen, wäre Helena über seine Feigheit vor einem Fünfzehnjährigen in lautes Gelächter ausgebrochen.
    »Ed, mein Liebling«,

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