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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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und ich muß gestehen, daß ich etwas niedergeschlagen war bei dem Gedanken, daß das, was ich für eine Offenbarung gehalten hatte, für die Betreuer des Whittlesea eine Angelegenheit ohne jede Bedeutung zu sein schien. Erst einige Tage später sollte ich feststellen, daß ihre Art, mit einer Erkenntnis umzugehen, eine ruhige ist. Sie grapschen nicht nach ihr und
schlingen sie nicht in sich hinein; sie nehmen sie langsam in sich auf wie eine Medizin und lassen sie lange in ihrem Blute kreisen, ehe sie etwas dazu sagen.
    Schließlich tauchte Pearce aus seinem Zustand der Geringschätzung für mich wieder auf und bat mich eines Morgens, ihn auf der Suche nach noch mehr Blumen zu begleiten. Unweit des Whittlesea-Tors stießen wir auf einige blasse, süß duftende Narzissen, die Pearce mich pflücken ließ.
    »Du siehst«, sagte er, als ich die Blumen für ihn pflückte, »ich befinde mich in einem höchst beunruhigenden Zustand der Unwissenheit, Robert.«
    »Ja, John?« meinte ich.
    »Ja. Denn ich hatte mir geschworen, in diesem Frühjahr die Antwort auf eine Frage zu finden, die mir schon viele Jahre keine Ruhe gelassen hat, nämlich folgende: Was ist der Duft der Blumen? Warum gibt es ihn? Atmen Pflanzen aus? Ist der Duft nichts weiter als ihr ausgeatmeter Atem? Und wenn sie nicht ausatmen, in welchem Teil einer Pflanze ist der Duft verborgen?«
    »Warum willst du das wissen, John?« fragte ich.
    » Warum? Weil ich es nicht weiß. Ohne Zweifel verbirgt sich in diesem Geheimnis eine Lektion Gottes, aber solange ich das Geheimnis selbst nicht enträtselt habe, bin ich auch von diesem Wissen ausgeschlossen!«
    Ich hielt Pearce meinen Strauß Narzissen hin, und er nahm ihn mir geziert wie ein junges Mädchen aus der Hand. Ich war versucht zu sagen, daß es der Duft der Schlüsselblumen gewesen war, der mich zu einem Wissen gebracht hatte, das ich für nützlicher hielt als alles, was er je aus dem Studium der Blumen würde ableiten können, doch ich unterließ es.

Besucher in Bethlehem
    L etzte Nacht habe ich von Will Gates geträumt. Ich war in London und ging zum Tower, und am Eingang begegnete ich Will, der dort, in Lumpen gekleidet, bettelte. Ich legte ein paar Heller in seine Schale und tat so, als kenne ich ihn nicht.
    Als ich aufwachte, noch sehr bestürzt von diesem Traum, dachte ich an die Kämpfe, die für mich immer wieder mit dem Wort »Vergessen« verknüpft sind. Ich brauche Euch nicht daran zu erinnern, was ich alles vergessen wollte, als ich noch auf Bidnold war. Jetzt muß ich vieles, was ich zu jener Zeit in die Dunkelheit geschickt habe, wieder ans Tageslicht holen. Dafür ins Vergessen müssen jetzt: mein türkisfarbenes Bett, meine Abendessen bei Kerzenlicht, das Rotwild meines Parks, Celias aprikosenfarbene Bänder und natürlich der Duft des königlichen Parfüms, welches ich, wie Pearce meint, nur liebe, weil es der Duft der Macht ist. Leider scheinen all diese Dinge wie Götzenbilder tief im Gewebe meines Gehirns selbst eingegraben zu sein. Wenn ich auch manchmal viele Stunden nicht an sie denke, so glaube ich doch nicht, daß es mir je gelingen wird, sie ganz zu vergessen.
    Auch an meinen Vogel, meine indische Nachtigall, muß ich sehr oft denken. Ich weiß jetzt, daß ich hereingelegt worden bin. Es war nur eine Amsel. Aber seltsamerweise macht es mir nichts aus. Während sie lebte, hatte sie mich erfreut, und die Erkenntnis, daß ich getäuscht worden bin, läßt mich bloß lächeln. Es ist nun einmal so mit Merivel und vielen anderen seiner Zeit, daß sie gar nicht immer die Wahrheit über
eine Sache wissen wollen. Wenn sich ihnen schließlich doch die Wahrheit enthüllt, dann bringen sie es nicht fertig, sie von allem Erdichteten zu entblößen. Deshalb wird die Amsel für mich immer die Aura einer indischen Nachtigall haben, obwohl es diese Spezies auf der ganzen Welt nicht gibt. Der König hatte schon recht, als er sagte, ich würde »träumen«.
    Um mir das Vergessen zu erleichtern, habe ich begonnen, jeden Tag etwas Zeit bei Katharine zu verbringen, da ich zu der Überzeugung gelangt bin, daß ich mir ein wenig nützlicher vorkäme, wenn ich wenigstens einem Menschen im Whittlesea zur Heilung verhelfen und ihn hier weggehen sehen würde. In dieser neuentdeckten Nützlichkeit könnte ich auch meiner Zukunft leichter ins Auge sehen, ganz gleich, was sie für mich bereithält, und müßte nicht mehr so voller Neid auf meine Vergangenheit blicken.
    Obwohl Katharine manchmal sehr verwirrt

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