Zeit der Sinnlichkeit
ist und glaubt, in der Hölle zu sein, vertraut sie mir doch oft ein paar Geheimnisse aus ihrem früheren Leben an. Zum Beispiel hat sie mir geschildert, wie ihr Mann, der Steinmetz war, sie einmal, bevor er sie verlassen hat, mit sich zu dem dunklen, staubigen Ort zwischen dem Deckengewölbe und dem Dach einer Kirche genommen hat, um mit ihr dort äußerst weltliche Dinge zu tun. Sie ist auch in der Lage, mir ihre Symptome zu beschreiben, daß Schmerzen in ihrem Unterleib und ein schwerer Druck auf ihrem Kopf einsetzen, sobald sie sich schlafen legt, und daß ein Herzkrampf ihren Körper in Zuckungen versetzt, wenn sie fast am Einschlafen ist.
Ich habe verstanden, warum Katharine ihre Kleider zerreißt: Sie bringt, wie sie es nennt, »Fenster« an, damit ihre Gliedmaßen hindurchsehen können, da sie glaubt, daß ihr Verstand und ihr Körper ständig auf der Hut sein müssen,
damit ihr niemand so nahe kommt, daß er ihr etwas antun oder sie betrügen kann. Wenn ihre Arme, ihr Rumpf und ihre Beine verhüllt sind, hat sie das Gefühl, daß ihr Körper »blind« ist.
Ich habe beobachtet, daß es sie tröstet, wenn sie sich wäscht, und da besonders, wenn sie sich die Füße wäscht; ich habe schon gesehen, wie sie dabei in eine Art Trance gefallen ist. Über dieses Phänomen habe ich bei einer Nachtbetreuung mit Ambrose gesprochen. Am nächsten Tag erzählte er mir, daß er den Rest der Nacht aufgeblieben sei, um in seinen Medizinbüchern zu lesen, und dabei auf etwas gestoßen sei, woran er sich noch halb erinnert hatte: daß das Reiben der Fußsohlen mit schwarzer Seife manchmal die Unruhe aus dem Gehirn ziehen kann, so daß es still und ruhig wird.
Diese Behandlung probiere ich nun bei Katharine aus. Ich setze mich zu ihr, lege ihre nackten Füße auf ein Tuch in meinem Schoß und habe in Reichweite eine Schüssel mit etwas warmem Wasser. Ich tauche die schwarze Seife ins Wasser ein, halte ihre Knöchel mit der einen Hand fest und rubbele mit der anderen ihre Fußsohlen mit der Seife. Während ich diese etwas seltsame Handlung vollziehe, sitzt sie ganz ruhig da und schaut mich so gespannt an, als sei ich ein alter Kunstgegenstand, der gerade erst ausgegraben worden ist.
Mein Arm und mein Handgelenk ermüden leicht. Ich habe für das Füßereiben nicht soviel Durchhaltevermögen, wie ich gern hätte. Doch wenn ich damit mehr als zwanzig Minuten fortfahre, dann werde ich belohnt, weil ich sehe, daß Katharines Starren nachläßt, daß sie zu blinzeln anfängt und ihr der Kopf langsam auf die Brust fällt. Dreimal ist sie wirklich für ein paar Minuten eingeschlafen, ohne von einem
Krampf oder Zittern geschüttelt zu werden, doch sobald ich aufhöre, mit der Seife zu reiben, wacht sie wieder auf. Es quält mich nun, daß Ambrose und ich etwas entdeckt haben, das wohl ein Heilverfahren und dennoch keines ist.
Ich habe noch immer keine Stellungnahmen zu meinem Redeschwall bei der Zusammenkunft bekommen. Pearce hat zu mir gesagt, daß die Freunde über meine Ideen nachdenken würden, »wiewohl deine Rede etwas dreist und arrogant war, Robert«, aber das ist auch alles. Ich setze jedoch für mich die Suche nach den einzelnen Stadien von Katharines Wahnsinn fort, da ich glaube, daß deren Kenntnis mir helfen kann, sie gesund zu machen. Bei dieser Suche ist mir klargeworden, daß Katharine eine Frau von ausgesprochen liebevollem, wenn auch kindlichem Naturell ist. Daher habe ich für sie, zusammen mit Eleanor, die sehr gut nähen kann, aus Lumpen eine Puppe hergestellt (deren Gesicht ich mit Ölfarben und einem feinen Pinsel angemalt habe), weil ich mir dachte, daß diese sie, wenn sie sie liebgewinnen würde, in der Nacht trösten könnte, so wie eine Puppe oder ein ähnliches Spielzeug ein Kind tröstet. Es ist eine recht primitive Puppe, ohne Hände, Füße und Haare, in einen einfachen Hänger gekleidet, den Katharine ihr, gleich nachdem wir sie ihr gegeben hatten, auszog und in Stücke riß. Sie sah die Puppe lange Zeit unverwandt an. Schließlich zog sie etwas Stroh aus ihrer Matratze und machte daraus auf dem Steinfußboden eine Art Nest. Dann legte sie die Puppe in das Stroh und rief den Frauen in ihrer Nähe zu, sie sollten sich doch einmal ansehen, was sie gemacht hätte. Diese drängelten sich daraufhin um sie herum. Eine von ihnen brach in kreischendes Gelächter aus, und eine andere versuchte zu sprechen, konnte aber nur sabbern und geifern. Katharine blickte zwi
schen ihnen und dem Stroh hin und her.
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