Zeit der Sinnlichkeit
nachgedacht, für das ich, wie der König mir einmal sagte, ein Talent habe. Ich erkenne nun, daß mein angebliches »Talent« nichts ist im Vergleich zu dem Hannahs oder Eleanors, den zufriedensten Frauen, denen ich je begegnet bin.)
An jenem Morgen war es meine Aufgabe, mit Pearce und sechs oder sieben Männern vom George Fox im Gemüsegarten zu arbeiten. (Ich muß hier anmerken, daß Pearce an diesem Stückchen Land so viel liegt, daß er so stolz ist auf seine Entwässerungsgräben und auf die kleinen Birnbäume, die an der Südmauer en espalier wachsen sollen, daß er hier gern alle Arbeit selbst beaufsichtigt und vor Gereiztheit ganz schwermütig wird, wenn seine Sämlinge nicht in vollkommen geraden Reihen angepflanzt werden.) Die Sonne schien wieder, und ich hätte meine Arbeit im Garten als recht angenehm empfunden, wenn Pearce mir gegenüber an diesem Morgen nicht so verdrießlich gewesen wäre. Er verhielt sich wie jemand, der absolut nichts mit mir zu tun haben wollte, hielt sich von allen Aufgaben fern, mit denen ich beschäftigt war, und antwortete mir nur sehr kurz angebunden, wenn ich versuchte, mit ihm zu sprechen. Ich beobachtete ihn aus der Ferne beim Bohnenstecken, sah, wie er wie ein langhalsiger Vogel auf einen frisch geharkten Flecken Erde nie
derstieß, seine langen weißen Finger als Setzholz verwendete, jede einzelne Bohne liebevoll eingrub und so fortfuhr, und mußte daran denken, daß er auf unseren Angelausflügen in der Nähe von Cambridge auch manchmal von solchen Stimmungen der Abneigung gegen mich erfaßt worden war. Ich fand es damals ebenso verletzend und schwer zu ertragen wie jetzt, besonders, da ich selten ergründen kann, womit ich ihn gekränkt habe. An diesem Morgen konnte ich nur folgern, daß ihm mein Erguß vom Vorabend mißfallen hatte. Wahrscheinlich würden nun einige Stunden – oder sogar Tage – vergehen, und dann würde Pearce meine These mit seinem klugen, nörgelnden Verstand zerlegen und mir die Trümmer vor die Füße werfen.
In der Zwischenzeit begann ich, während ich im Zwiebelbeet Unkraut jätete, mit leiser Stimme – weil Pearce nicht hören sollte, was ich tat – mit einem Mann namens Jacob Lowe, der neben mir arbeitete, zu sprechen und ihn auszufragen, woran aus seiner Zeit vor Whittlesea er sich am besten erinnere und ob er in seinem früheren Leben einem Gewerbe oder Beruf nachgegangen sei. Er erzählte mir, er sei Fleischer und Schlachter gewesen. Er beschrieb mir, mit welcher Leichtigkeit er einem Kalb den Kopf spalten konnte, um das zarte Hirn herauszunehmen. »Doch mich hat eine Hure umgebracht«, flüsterte er. »Ich bin an ihrer faulen Möse gestorben. Das ist jetzt mein zweites Leben auf Erden.«
Ich bat ihn, mir seinen »Tod« zu beschreiben. Er erzählte mir, daß seine Hoden angeschwollen und schließlich, als sie »voll der Lustseuche« waren, aufgeplatzt seien, und daß aus seinen aufgeborstenen Eiern dann sein Leben entwichen sei.
Ich sah zu Jacob Lowe auf. Sein Gesicht war gerötet, seine Muskulatur ordentlich, seine Nase vorspringend und ohne
Verfallserscheinungen. Aus diesen äußeren Anzeichen konnte ich schließen, daß er, wenn er einmal an der Lustseuche erkrankt gewesen war, jetzt jedenfalls davon geheilt war. Solche Heilungen sind selten, doch wenn sie einmal eintreten, dann sind sie – in allen mir bekannten Fällen – auf die Gabe von mercurius sublimate zurückzuführen, dessen Hauptbestandteil Quecksilber ist, jenes kapriziöse Metall, mit dem ich einst den König verglichen habe. Und Quecksilber ist, wenn es nicht äußerst sorgfältig dosiert wird, ein Gift. Ich habe einen Mann im St. Thomas an Quecksilbervergiftung sterben sehen: Er starb schreiend und phantasierend, als ob er plötzlich wahnsinnig geworden sei. Ich lächelte in mich hinein und sah zu Pearces gebeugtem Rücken hinüber. Ich war in der Zeit, die Jacob Lowe und ich für das Jäten des Unkrauts im Zwiebelbeet gebraucht hatten, der Ursache der Geisteskrankheit dieses einen Mannes auf die Spur gekommen.
Weder beim Mittagessen noch während des Nachmittags kam einer der Freunde auf meine Ansprache vom Vorabend zurück, und Pearces Mangel an Menschenfreundlichkeit mir gegenüber schien zu bestätigen, daß sie zumindest ihm sehr mißfallen hatte. Daher behielt ich meine Unterhaltung mit Jacob Lowe für mich und wartete die Zusammenkunft ab, um zu sehen, ob sich vielleicht Ambrose zu meiner Theorie äußern würde. Doch auch er erwähnte sie nicht,
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