Zeit der Sinnlichkeit
konnte. Diese Träumereien wurden von einem Aufstampfen Danseuses unterbrochen, die ruhelos und ängstlich ist, seit wir das Tor zum Whittlesea durchschritten haben. Wäre sie nicht das einzig Kostbare, was ich noch besitze, dann würde ich das Tor öffnen und sie davongaloppieren lassen.
Einige Tage später brach ein schwerer Sturm mit heftigem Regen über den Fens herein, und die harte Erde des Whittlesea wurde wieder zu Schlamm. Pearce versammelte nach der Mittagssuppe alle Betreuer in der Wohnstube, damit wir Gott für den Regen, der auf seinen Kopfsalat und seine Bohnen fiel, danken konnten. Nach diesem Gebet nahm Edmund seine Seife, zog sich aus und lief hinaus in den Regen; doch schon einen Augenblick später kam er sehr aufgeregt zurück, um uns zu sagen, daß zwei Besucher am Tor seien, eine alte Frau und ihre Tochter, die lautstark Einlaß begehrten.
»Ambrose«, sagte Pearce, »willst du die Leute bei diesem Sturm draußen lassen?«
Ambrose ging zum Fenster. »Der Sturm bewegt sich nach Osten«, sagte er. »Er ist gleich vorbei.«
»Sie dürfen nicht hereinkommen!« rief Edmund.
»Nein«, sagte Ambrose, »sie dürfen nicht hereinkommen.
Das werden sie auch nicht. Sie werden unseren Anschlag lesen und wieder gehen.«
»Und wenn sie nicht lesen können?« fragte Pearce.
Ambrose zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: »Einer von uns geht zum Tor und spricht mit ihnen durch das Gitter.«
»Ich gehe«, bot Hannah an.
»Nein«, sagte Ambrose ruhig. »Edmund geht. Er kann sofort gehen, denn ihm macht der Regen nichts aus.«
Ich beobachtete von der Tür des Whittlesea-Hauses aus, wie Edmund, nackt bis auf seine zerfetzte Unterhose, im Laufschritt zum Tor eilte, wobei er seine Brust einseifte, und dann seinen Kopf in den kleinen Sprechgittereinsatz im schweren Portal steckte. Ich konnte nicht hören, was er sagte, denn das Trommeln des Regens auf dem Boden und auf den Gebäuden war sehr laut. Auch konnte ich die Besucher trotz des günstigen Aussichtspunktes nicht sehen, doch schienen sie sehr hartnäckig zu sein, denn Edmund war so lange am Tor, daß er sich bis auf seine Beine ganz waschen konnte, während er mit ihnen verhandelte.
Schließlich konnte er sich losmachen und beugte sich hinunter, um seine Knie und Waden einzuseifen. Inzwischen war der Sturm wirklich in östlicher Richtung weitergezogen, und der Regen reichte nicht mehr aus, den Seifenschaum abzuspülen. Edmund warf den Kopf zurück, blickte ärgerlich in den aufklarenden Himmel und machte sich dann auf den Weg zur Pumpe, wo er seine Waschungen beendete. Erst dann kam er zu uns zurück und erzählte, daß die Besucher die Mutter und die Schwester meines Möchtegern-Mörders Piebald gewesen seien und den ganzen Weg von Puckeridge, etwas nördlich von London, gekommen waren.
Ich ging in mein Zimmer hinauf, das inzwischen wirklich mehr ein Zimmer als ein Wäscheschrank für mich war, und blickte über die uns umgebende Mauer zu den Sümpfen von Earls Bride. Auf der Straße zum Dorf sah ich zwei Gestalten gehen, die wie sehr arme Leute gekleidet waren. Alle paar Schritte drehten sie sich um und blickten zu uns zurück. Schließlich legte die jüngere der Frauen ihren Arm um die Schultern der älteren, und sie gingen weiter, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Erst als sie nicht mehr in meinem Blickfeld waren, »sah« ich, daß die jüngere der beiden, Piebalds Schwester, einen Korb trug, der sehr schwer zu sein schien. Sie hatten bestimmt Lebensmittel mitgebracht und dann, als sie von Edmund abgewiesen wurden, nicht daran gedacht, diese am Tor zurückzulassen.
Diese Erkenntnis war es – vielleicht nicht weniger als die, daß diese Frauen Piebalds Verwandte waren –, die mich die Treppe hinuntereilen und Ambrose sagen ließ, daß ich den Besuchern nachreiten wolle, um die Gaben zurückzuholen, die sie wieder mitgenommen hatten.
»In Ordnung!« sagte Ambrose, »aber komm ihnen nicht so nah, daß du ihren Atem einatmest.«
»Sie haben nicht die Pest, Ambrose. In Puckeridge gibt es keine Pest.«
»Das können wir nicht wissen, Robert. Der Erreger ist von Südeuropa zu uns in den Norden gekommen; es ist durchaus möglich, daß er sich weiter Richtung Norden bewegt.«
»Also gut. Ich gehe nicht nah an sie heran, sondern rufe ihnen zu, sie sollen ihre Gaben hinlegen, damit ich sie zurückbringen kann. Bist du es so zufrieden?«
»Ja.«
»Und sag ihnen«, mischte sich Pearce ein, »es täte uns leid, daß sie die Reise
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