Zeit der Sinnlichkeit
Dunkeln bleibt.
Ich erinnere mich an das bescheidene Gasthaus. Ich sehe seinen Boden vor mir, voller Sägemehl und Spuckeflecken, als ich in meinem purpur-weiß-goldenen Putz die Schwelle überschreite, um dem bunt zusammengewürfelten Zug von Leuten zu Fuß und zu Pferd zu Celias Haus zu folgen.
Ich werde auf ein graues Pferd gehoben, an dessen Zaumzeug Glöckchen befestigt sind. Ich bin noch tief bewegt von meinem eigenen Anblick in der ausgefallenen Kleidung, und es schreit in mir: Vorwärts! Voran! Auf geht's! Die Menge ist schon berauscht und voller Lüsternheit und Gekreisch, vornehme Männer und Landvolk im wirren Durcheinander, Winken mit Handschuhen und Bändern. Ich hätte mir keine ekstatischere Begleitung wünschen können, und über allem
steht die Mittsommersonne und nickt lächelnd auf meinen Federschmuck herab.
Es geht den Hügel hinauf, die Kinder vorneweg, an meiner Seite hüpft ein Fiedler, Kopf und Haare wie eine Rübe, seine Musik wie für einen Tanz um den Maibaum. Das ist eine historische Aufführung, ein Schauspiel, sage ich mir, als ich auf meinem geschmückten Pferd sitze. Ich spiele den Bräutigam; Celia ist eine Pantomimen-Braut. Und doch bin ich, als wir so losziehen, in einem Glückstaumel. Ich möchte jemanden umarmen – Gott? den König? meine tote Mutter? – als Dank für das Geschenk dieses prunkvollen Morgens. So beuge ich mich, als das Haus in Sicht kommt, hinunter und fange in meinen fiebrigen Armen ein Bauernmädchen mit Grübchen ein; ich küsse sie, und die Männer johlen, und die Frauen klatschen in die Hände, und der Rübenkopf-Fiedler lächelt, so daß schwarze Falten sein Gesicht überziehen.
Das nächste, woran ich mich lebhaft erinnere, ist Joshua Clemences Musik. Wir haben die Kirche als Mann und Frau verlassen. Celia trägt meinen Ring an ihrer kleinen weißen Hand. Ich habe ihr, wie es der Brauch ist, einen keuschen Kuß auf den schmalen Mund gegeben. Dann habe ich ihr den Arm gereicht, um sie hinaus in die Sonne und den Weg zu Joshuas Haus hinaufzuführen. Das Festmahl, das uns vorgesetzt wird, übersteigt in seiner Pracht alles, was ich je auf einer Tafel gesehen habe, und ich falle über das Essen und den Wein mit meinem üblichen Appetit her. Der König, der neben meiner Braut sitzt, lacht mir zu und gibt eine reife Vorstellung, indem er mich in eine große Serviette wickelt. Zum zweiten Mal an diesem Tag bin ich froh, daß Pearce nun doch nicht dabei ist. Sein bescheidenes Wesen würde beim Anblick der Menge und Vielfalt der für uns zubereiteten Spei
sen erschauern. Als ich meine Augen kurz darüberstreifen lasse, sehe ich Frikassees, gedünsteten Barsch und Lachs, gebratene Schnepfe, Pfau, Krickente, Stockente und Wachtel, Wildpasteten und Karbonaden, Markkuchen, Rinderzunge, gebackenes Perlhuhn, gemischte Salate, Schalen mit Sahne, Quitten, Konfekt und Marzipan, Eingemachtes, Käse und Obst. Da gibt es französische Schaumweine, starke Weine aus Alicante und natürlich den Sack Posset, einen Sherry mit heißer Milch, der getrunken wird, bevor Celia und ich in einem Gewirr von Bändern aufs Bett geworfen werden.
Als wir uns vielleicht eine Stunde vollgegessen und zugetrunken haben und die Erregung in mir einem nicht unangenehmen Gefühl der Schläfrigkeit Platz zu machen beginnt, sehe ich, wie sich Sir Joshua erhebt, seine Viola nimmt und nun ganz allein, uns zugewandt, vor seinem zierlichen Notenständer steht. Der König versucht, Ruhe im Raum herzustellen, doch die Galane am Ende der Tafel haben Sir Joshua nicht bemerkt und fahren ungeniert mit ihrem Rülpsen und Kichern fort. Wie ich amüsiert sehe, erbricht sich einer von ihnen in seinen Hut. Sir Joshua beachtet sie nicht. Er nimmt sein Instrument in die Hand und fängt ohne jede Vorrede an zu spielen.
Ich erwarte einen schwungvollen Tanz, so daß wir uns, wenn wir Lust dazu bekommen, vom Tisch entfernen und ein wenig das Tanzbein schwingen können. Doch Sir Joshua hat ein ausgesprochen ernstes und melancholisches Musikstück ausgewählt, und zwar, wenn mich meine Musikkenntnis nicht täuscht, Dowlands Lacrimae , und von einem Augenblick zum andern fühle ich in mir einen unwiderstehlichen Drang zu weinen. Ich starre Sir Joshua an, wie er so auf seine Viola hinunterschaut, und ich ziehe in meiner Anatomen-
Traurigkeit Schicht um Schicht seine Haut, sein Muskelfleisch, seine Nerven und Sehnen ab, bis ich nur noch seine weißen Schädelknochen und leeren Augenhöhlen sehe …
Ich schaue weg und
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