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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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vergrabe das Gesicht in meiner Serviette. Ich möchte nicht, daß meine Scheinfrau mich weinen sieht. Ich tue so, als ob ich mich verschluckt habe, erhebe mich vom Tisch und stolpere aus dem Zimmer. Tränen stürzen mir aus den Augen, und ich schnupfe wie ein kranker Maulesel. Ich tappe hinaus in die Sonne und werfe mich auf den Rasen, wo ich ganze zehn Minuten liegenbleibe und vor mich hin weine.
    Als ich mich schließlich aufsetze und in die durchnäßte Serviette schneuze, bemerke ich, daß ein Mann nur wenige Fuß von mir entfernt schweigend auf dem Rasen sitzt. Ich wische mir über die Augen und sehe ihn an. Es ist Pearce.
    »Warum plärrst du, Merivel?« fragt Pearce.
    »Ich weiß es nicht.«
    »So«, sagt Pearce mit seiner üblichen Würde, »du bist also verheiratet.«
    »Ja. Wie gefällt dir mein Hochzeitsgewand?«
    Pearce sieht mich scharf an und bemerkt, wie ich annehme, die wertvollen Schuhspangen und das königliche Fluidum, welches das Purpurrot dem ganzen Ensemble gibt. Glücklicherweise trage ich die Dreimastbarke nicht mehr, denn ich bin plötzlich froh, daß Pearce da ist, und würde in diesem Augenblick nicht wünschen, die Ursache irgendeiner Funktionsstörung seiner Blutgefäße zu sein.
    »Es ist schrecklich!« sagt er nach einer Weile. »Wahrscheinlich ist es das, was dich so entmannt hat.«
    Ich lächle, und er lächelt, und ich reiche ihm meine heiße Hand, die er nimmt und mit seinen eisigen Fingern umfaßt.
     
    Pearce und ich machen eine Runde durch den Rosengarten. Zwei Gärtner beobachten uns mit steinernen Mienen. »Ich bin der Bräutigam«, möchte ich sagen, »ihr müßt euch mit mir freuen«, aber dann fallen mir die Verwicklungen ein, die damit verbunden sind, und ich sage zu Pearce nur: »Sollen sie halt verdrießlich sein! Mich kümmert es keinen Deut.«
    Gleich nachdem wir zum Fest zurückgekehrt sind – ich habe Pearce am Tisch plaziert und versuche ihn gerade zu überzeugen, wenigstens ein bißchen auf einem Entenschenkel herumzunagen und ein Schlückchen Alicante zu nippen –, erhebt sich der König und läßt den Sack Posset bringen. So rückt denn der Augenblick näher! Ich beobachte, wie meine Frau ängstlich auf ihren königlichen Lehnsherrn blickt. Er schaut sie mit dem strahlenden Stuart-Lächeln an, in dem die Hälfte aller Männer und die meisten Frauen in unserem Lande den Beweis seiner Göttlichkeit zu sehen meinen. Dann stehen wir alle auf, und noch bevor der Toast ganz ausgesprochen ist, fühle ich mich von meinen Freunden vom Hofe umringt, die nun dazu übergegangen sind, zu wiehern und zu johlen und auf den Tisch zu hauen und so die Überreste des Frikassees und der Pastete zum Erzittern und die Weinflaschen zum Umfallen zu bringen. Dann werde ich hastig aus dem Raum und in einen langen Gang gedrängt, halb geschoben und halb gehoben. Ich höre, wie Celia und ihre Brautjungfern kichernd hinter uns herziehen. Obwohl mir diese Farce halbwegs Spaß macht, freue ich mich doch schon darauf, an den Tisch zurückzukehren und weiter Wein trinken zu können, um mich dann im Tanzen und Schwelgen zu verlieren. Doch ich gehe weiter, werde zwei Treppen hoch und dann in eine prächtige Nachtkammer getrieben, wo mir mit fröhlichem Gelärme und ohne viel Federlesens meine Kleider
aufgeknöpft, aufgebunden und vom Leibe gerissen werden, so daß ich nackt bis auf meine Perücke, meine Strümpfe und meine Strumpfhalter dastehe. Mit derbem Gelächter wird mir ein purpurrotes Band um den Schwanz gebunden. Ich muß zugeben, daß ich das sehr lustig finde. Ich schiebe meine Freunde zur Seite, damit ich zu einem Spiegel gehen kann, und da stehe ich nun entblößt: ein Popanz von einem Bräutigam. Meine Augen rot und verquollen vom Weinen, mein nachtfalterübersäter Leib aufgebläht von der vielen Stockente und Karbonade, die ich in mich hineingestopft habe, meine Perücke schief auf dem Kopf, meine Strümpfe heruntergerutscht und mit Gras- und Rotweinflecken beschmutzt und mein Glied mit einer Schleife geschmückt wie ein hübsches Geschenk.
    Ich habe jedoch keine Zeit, bei meinem atemberaubenden Anblick zu verweilen. Mir wird ein Nachthemd über den Kopf gestülpt, und dann werde ich wieder auf den Gang hinaus und zu einem anderen Schlafgemach geführt, an dessen Tür ein Großteil der Hochzeitsgäste herumlärmt. Als sie mich sehen, schreien sie hurra und beginnen dann, während sie mich in den Schlafraum schieben, mit dem unaufhörlichen Singsang:
     
    »Me-ri-vel
    Lieb sie

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