Zeit der Sinnlichkeit
und beten, daß es hinter den Vorhängen oder wenigstens so geräuschvoll stattfinden wird, daß sie meine eiligen Schritte nicht hören werden.
Was soll ich in der Zwischenzeit tun? Ich fasse den Entschluß, über meine Zukunft nachzudenken. Ich kann sie ganz und gar nicht klar vor mir sehen. Ich nehme die Maske ab. Jetzt glaube ich zu erkennen, daß ich der Medizin überdrüssig bin. All meine anatomischen Studien scheinen mir nur große Traurigkeit gebracht zu haben. Wenn ein Mann die Viola da Gamba spielt, möchte ich mich mit ihm freuen und nicht seinen Schädel sehen. Denn wohin führen solche Visionen? Was ist, wenn ich an einem Augustabend, den ich mit Rosie Pierpoint am Fluß verbringe, plötzlich nicht mehr das Rot ihrer Lippen und das Rosa ihrer Schenkel, sondern das Weiß der Maden in ihren Knochen sehe? Wenn ich die Sterblichkeit ständig so deutlich vor Augen hätte, dann würde ich, dessen bin ich sicher, in kürzester Zeit verzweifeln. Und was würde dann aus mir werden? Selbst meine Räume in Bid
nold würden dann kein Trost mehr für mich sein. Ich würde wahnsinnig werden, und man würde mich in die Heilanstalt sperren, und nur der arme Pearce würde mich noch besuchen und seinen Kopf schütteln und sagen, daß er nichts für mich tun könne.
Ich darf also nicht verzweifeln und verrückt werden. Ich muß versuchen, die Anatomie zu vergessen. Sie ganz und gar vergessen. Sie besprechen, damit ich sie vergesse. Vergessen auch den Star. Ebenso Fabricius und den ertrunkenen Almosenempfänger. Und all das, was hinter der menschlichen Schläfe ist. Statt dessen werde ich mich mit dekorativen Dingen beschäftigen. Ich werde noch mehr Möbel, Bilder und Vorhänge kaufen. Ja, ich werde sogar Bilder malen, denn ich bin, wie mein Vater, ein guter Zeichner, und ich scheue mich auch nicht, es einmal mit Ölfarben zu versuchen. Das wird es dann sein: das Vergessen der Höhle, des Lochs, des Inneren, der gräßlichen Tiefe. Mein Leben wird sich in umgekehrter Richtung bewegen: Ich habe die Nacht überstanden, nun, da ich mich oberflächlichen Dingen zuwende, wird der Morgen kommen. Schließlich bin ich ein Bürger der Neuzeit.
Während ich mit mir meine Zukunft besprochen habe, sind einige Minuten vergangen. Ich ziehe mir wieder die Maske über Augen und Nase und lausche. Ich höre Celia und den König lachen – ein hoffnungsvolles Zeichen, daß sie nun den Himmelshöhen entgegenlärmen.
Ich mache die Tür auf und stelle zu meiner großen Erleichterung fest, daß die Bettvorhänge zugezogen sind. Dennoch ducke ich mich und krieche auf allen vieren zur Tür, die beim Öffnen laut quietscht, sich dann aber fast geräuschlos hinter mir schließt.
Einige Zeit später bin ich im Park von Sir Joshuas Haus. Es sind ein paar Stunden vergangen, in denen ich Gigue und Polka getanzt, getrunken und geflirtet und überhaupt so ausgelassen herumgetobt habe, daß ich mich nun richtiggehend taumelig fühle. Da die Sonne untergegangen ist, ist es jetzt kühl draußen, und ich schwanke auf ein kleines, schattiges Wäldchen zu, in dem sich, wie ich mir einrede, Pearce versteckt hat.
Ich bleibe stehen, um zu pissen. Ich ziehe meine Kniehose herunter und sehe das Band um meinen Schwanz. Es gleitet ab und fällt zu Boden, und ich schimpfe leise vor mich hin, als ich darauf pisse.
Ich ziehe meine Hose wieder hoch. Vor mir, direkt am Rande des Waldes, bewegt sich etwas. Das muß Pearce sein, dem ich nun beichten werde, daß ich der Medizin ganz und gar entsagen will. »Ich kann nicht weitermachen«, werde ich sagen.
Doch es ist nicht Pearce. Denn jetzt hat diese Person – und ich würde dieses modische Kleidungsstück überall wiedererkennen, selbst in der heraufziehenden Dämmerung – die Dreimastbarke aufgesetzt! Nicht einmal, um mich zu necken, würde Pearce es über sich bringen, sich so ein Ding auf den Kopf zu setzen.
Ich höre Gelächter. Es ist hoch und gackernd. Und da steht plötzlich das dralle Bauernmädchen vor mir, das ich am Morgen auf dem Weg zu meiner Hochzeit geküßt habe, und lacht mir ins Gesicht.
»Bräutigam«, kichert es. »Gnädiger Herr Bräutigam!«
Ich fasse in mein Gesicht und merke mit Entsetzen, daß ich meine Maske nicht mehr trage.
»Komm zu mir, Bräutigam!« gackert die Maid. »Komm zu deinem Bräutchen!«
Sie ist betrunkener als ich. Der Hut fällt ihr über die Augen, und sie hickst. Rasch greife ich unter ihren Rock und umfasse und drücke ihren Hintern und treibe sie so
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