Zeit der Sinnlichkeit
anspitzte. »Künstler müssen im Licht aus Norden arbeiten.«
»Warum?« fragte Meg Storey.
Ich blickte auf. Ich wollte gegenüber dieser frechen Tavernenschlampe nicht zugeben, daß ich nicht die geringste Ahnung hatte. »Weil«, schnauzte ich, »Nordlicht grausam ist.«
Fröstelnd und protestierend erklärte Meg Storey sich schließlich doch dazu bereit, wenigstens ihren Oberkörper zu entblößen. Sie setzte sich auf einen hohen Stuhl und erlaubte mir, einen fuchsienroten Schal um ihre Schultern zu drapieren, der schmeichelnd über eine ihrer großen Brüste mit den leuchtenden Brustwarzen fiel. Ich ging ein paar Schritte zurück. Ihre Haare waren sandfarben, fast wie meine, aber wesentlich feiner und seidiger. Sie sah wunderhübsch aus. Ich fühlte, wie die Begeisterung für mein Bild wuchs. Jetzt verstehe ich, sagte ich mir, was die flämischen Meister fühlten, wenn sie sich daranmachten, ihre wollüstigen Dianas, ihre üppigen Schäferinnen darzustellen …
Ich fing an, Meg Storeys Hals, Schulter und rechte Brust zu skizzieren. Ihre Kleidung unterhalb der Taille beachtete ich nicht. Ich kannte die Form des weiblichen Beines und das Fettgewebe des Oberschenkels so gut, daß ich auch darstellen konnte, was ich in Wirklichkeit gar nicht sah. Ich war nun derart erregt von meiner Arbeit, daß ich ein Ziehen in den Lenden spürte und beim Malen ihrer Hand die plötzlich aufkommende Vorstellung verdrängen mußte, daß sie ihre kleinen Perlennägel in meinen Hintern grub. Glücklicherweise blieb Meg Storey meine Erregung durch die Größe der
Leinwand und Weite meines Kittels verborgen, und sie saß trotz der Kälte zwei Stunden, oder vielleicht auch etwas mehr, brav und still da.
Um die Mittagszeit mußte sie gehen, um das Essen im »Jovial Rushcutter« zu servieren. Ich drückte ihr ein Zweishillingstück in die Hand und bat sie, am folgenden Tag wiederzukommen. Ich machte keinen Versuch, sie anzurühren, obwohl ich einen starken Drang dazu in mir fühlte. Ich sagte mir, daß die Kunst über den gemeinen Wünschen stehen mußte.
Doch es zog mich immer wieder zu meinem Bild hin. Selbst als ich spätabends von einem ausgezeichneten Essen bei meiner Nachbarin Lady Bathurst zurückkam, ging ich gleich in mein Studio, zündete mehrere Lampen an und sah mir mein Bild von Meg Storey an. Es gefiel mir sehr gut. Es war wohltuend, einen einigermaßen gut gemalten ganzen Körper zu sehen, und nicht nur einzelne Teile davon. Die Kunst, dachte ich bildhaft (und so metaphysisch, daß es Pearces würdig gewesen wäre), wird in den Bereichen, in denen ich bisher bloß ein Halbes war, ein Ganzes aus mir machen.
Am nächsten Morgen schien die Sonne, wodurch sich das Licht in meinem Studio ein wenig änderte. Ich hatte eine unruhige Nacht verbracht, weil ich darüber nachgedacht hatte, welche Farben ich in welchen Mengen verwenden mußte, um den richtigen Ton von Meg Storeys Hals, Haar, Ferse und Brustwarzen zu treffen. Ich sehnte mich mit einer solchen Inbrunst danach, etwas auf die Leinwand zu bringen, was über ein bloßes Portrait von Meg Storey hinausging. Ich wollte in Farbe ihr eigentliches Wesen festhalten, damit jeder, der mein Bild anschaute, »sah«, wie sie wirklich war, schön und ordinär zugleich, wobei diese beiden Grundsätze
in ihr so unaufdringlich im Widerstreit standen, daß man Meg Storey immer wieder anders sah. Aber wie sollte ich das anfangen?
Ich stand erschöpft und niedergeschlagen vor meiner Staffelei. Wie kann man mit Hilfe eines statischen Mediums etwas einfangen, was sich ständig bewegt und verändert? Ohne allzuviel Zuversicht begann ich, meine Farben zu mischen. Megs Nase war rot, wie ich bemerkte (»von der Erkältung, die ich mir hier bei Euch geholt habe, Sir Robert«), so hielt ich es für das beste, mit dieser anzufangen und mich von da an nach außen vorzuarbeiten. Doch ich merkte sofort, daß dies keine gute Entscheidung gewesen war. Wenn man nach dem Wesentlichen einer Sache strebte, begann man nicht mit einer unwichtigen Einzelheit. Ich stürzte mich auf die Brustwarze und malte diese. Nun waren auf meiner Leinwand zwei leblose rote Punkte zu sehen. Schnell mischte ich verschiedene Umbras, Zinnoberrots und Brauntöne und fing an, Megs Haaren Farbe zu geben. Doch es lag kein Licht über ihnen, und sie hatten kein Leben, und ich begann zu verstehen, daß es mir einfach an der Technik fehlte, ein einigermaßen hübsches Bild von Meg zu malen, ganz zu schweigen von einem Portrait, das
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