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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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neige, scheint der König ein Mann ohne Furcht zu sein. Ich muß hier wohl eingestehen, daß ich den König mittlerweile ausgesprochen gern mochte und daß mich die Erkenntnis sehr schmerzte, daß er mich nun, da ich meine Schuldigkeit getan und dafür Ländereien und einen Titel erhalten hatte, wenn es ihm beliebte, völlig vergessen konnte. Ich dachte noch immer gern an die schmatzenden Küsse zurück, die er einst seinem Narren auf den Mund geknallt hatte, und hoffte aufrichtig, daß dies nicht geschehen würde.
     
    Laßt mich jetzt von meinen ersten Versuchen, ein Künstler zu werden, berichten.
    Dreißig Leinwände, vierzehn Pinsel, achtundfünfzig Farbkästen und eine Staffelei wurden mir von Pelissier and Drew in London geliefert. Mein Schneider fertigte für mich einen
Schlapphut, wie ihn Rembrandt getragen hatte, und einen Rupfenkittel, in dem ich, wie ich zugeben muß, mehr wie ein Schweinezüchter als wie ein Renaissance-Mensch aussah.
    Das Mischen der Farben war eine Tätigkeit, der ich mich mit großem Eifer widmete. Wenn ich ein besonderes Sehvermögen habe, dann für Farbe und Licht. So hätte ich am liebsten ganz auf das Zeichnen verzichtet und reine Farbe auf die jungfräulichen Leinwände geklatscht. Doch ich war mir darüber im klaren, daß ein Künstler ein Motiv haben muß, und die einzigen Motive, die ich mit meiner Zeichenkohle gut wiedergeben konnte, waren Teile der menschlichen Anatomie – die ich doch, wie ich mir geschworen hatte, dem Vergessen hatte anheimgeben wollen, was mir aber nicht gelungen war.
    So stellte mein erstes Bild den Oberschenkel und das Gesäß eines Mannes dar. Den Hintergrund wollte ich ockerfarben malen, um eine ländliche Idylle anzudeuten, in der die abgeschnittene Hälfte meines Mannes durch ein Kornfeld schritt. (Ich unternahm den ziemlich kläglichen Versuch, ein paar Garben in der Ferne sowie ein paar Weizenähren im Vordergrund zu zeichnen.)
    Die Muskulatur des Hinterns und des Oberschenkels war, so glaube ich jedenfalls, einigermaßen gut und genau gemalt, doch diese Detailgenauigkeit brachte es mit sich, daß ich, als ich schließlich zitternd und aufgeregt Ölfarbe auftragen wollte, nur zu deutlich erkannte, daß ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich in diesem Medium Licht und Schatten (und somit die dritte Dimension) darstellen sollte, so daß mein Bild, obwohl ich stundenlang, ja bis spät in die Nacht daran arbeitete, ein totaler Mißerfolg wurde und am Ende mehr einem grellen Stilleben mit einem Teller Schinken und
Rührei glich. Ich entledigte mich meines Schlapphuts und meines Kittels und zog mich zurück, dieses Mal in mein Bett, wo ich gezwungen war, auf dem Laken herumzukauen, um meinen Tränen der Wut und Enttäuschung Einhalt zu gebieten.
    Am nächsten Tag hatte ich eine blendende Idee. Wenn ich dazu fähig war, einzelne Körperteile recht gut darzustellen, dann war ich sicherlich auch in der Lage, einen ganzen Körper zu malen, vor allem mit Hilfe eines Modells.
    Nach dem Frühstück ließ ich mein Pferd Danseuse holen (auch ein Geschenk des Königs), ritt den Hügel zum Dorf Bidnold hinauf und klopfte an die Tür des »Jovial Rushcutter«, eines netten, kleinen Gasthauses, das ich gelegentlich aufsuchte, wenn mir der Sinn nach derben Gesprächen und dem Geruch von Bier, Tabak und Spucke stand.
    Das Barmädchen des »Jovial Rushcutter« hieß Meg Storey. Sie ähnelte in ihrer Art und der aufreizenden Fülle ihrer Brüste ein wenig Rosie Pierpoint, so daß ich mich unfreiwillig zu ihr hingezogen fühlte. Es gelang mir nun, Meg Storey so zu umschmeicheln – mit Lob und der Aussicht auf Geld –, daß sie sich bereit erklärte, in mein Studio zu kommen und mir zu sitzen. Nicht nackt, wie ich ihr versicherte, sondern hübsch in Schals und Schärpen drapiert und höchstwahrscheinlich mit einem Sträußchen Geranien im Haar, was mir wieder erlauben würde, meine roten Farben zu verwenden, die ich schon auf so traurige Art und Weise für die Schenkel des Mannes verschwendet hatte, ohne die aber ein Bild von mir, so glaubte ich wenigstens, nicht gelingen konnte.
    Sie kam an einem ziemlich kühlen Septembermorgen. Als sie mich in meinem Hut und Kittel sah, brach sie in schallendes, verächtliches Lachen aus. Weiteres Mißvergnügen be
reitete sie mir durch ihr Lamento über die Kälte und fehlende Sonne in meinem Studio, als sie ihren Umhang abnahm.
    »Mein Studio geht nach Norden, das muß so sein«, sagte ich, während ich die Kohle

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