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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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letzten Segen, sprach kein Gebet, sagte nicht ein ein
ziges Wort. Ich streckte nur meine Hand aus und schloß die starrenden Augen.
     
    Frances Elizabeth beweinte den Tod ihres einzigen Kindes, und Finn, mit seinem weichen Herzen, weinte wegen Frances Elizabeth, da er an ihre Freundlichkeit dachte, mit der sie ihn mit einem Hachsenfleisch-Eintopf und einem Segeltuchbett im Schreibzimmer vor der bitteren Not bewahrt hatte. Ich aber weinte überhaupt nicht.
    Ich verließ das Haus, lief umher, saß in einem Kaffeehaus und trank süßen Kaffee, eine Schale nach der anderen. Wenn ich auch nicht dazugehörte, so hatte ich doch große Freude an den Gesprächen, dem Rauch und dem Lachen, da ich darin den Duft des wiederkehrenden Lebens wahrnahm.
    Dann hatte ich große Lust zu scheißen, fand einen geeigneten Ort und tat es, und selbst das fand ich angenehm, und danach fühlte ich mich richtiggehend gereinigt, so, als hätte ich einen neuen Körper bekommen.
    Ich verbrachte den ganzen Tag damit, in der Stadt herumzulaufen und darüber nachzudenken, was ich mit meinem nächsten Stück Leben anfangen sollte, und als mich die Abenddämmerung einzuhüllen begann, hatte ich meinen Entschluß gefaßt.
    Ich kehrte nach Cheapside zurück. Auf meinem Weg dorthin kaufte ich einem Blumenverkäufer ein paar weiße Veilchen ab. Sie waren für Katharine bestimmt – doch dann fand ich sowohl die Blumen als auch die Geste, sie auf ihren Körper zu legen, unaufrichtig und warf sie in die Gosse.
     
    Katharine wurde auf dem Friedhof von St. Alphage zur letzten Ruhe gebettet.
    Ich schrieb an die Betreuer des Whittlesea, und in diesem Brief sagte ich: »Sie hat jetzt im ewigen Schlaf Ruhe gefunden«, doch später bereute ich, etwas so Sentimentales geschrieben zu haben.
    Ich tat einen Schwur. Ich schwor mir, mich niemals wieder von Mitleid bewegen zu lassen. Denn ich sehe jetzt, daß ich, als ich Katharine »half«, nicht selbstlos handelte (wie ich geglaubt hatte), sondern nur versuchte, meiner eigenen kleinen Seele etwas Gutes zu tun.
     
    Am Abend nach der Beerdigung klopften zwei Seeleute der Royal James an die Tür. Sie wollten, daß Frances Elizabeth in ihrem Namen an den Herzog von York schriebe und ihn bäte, ihnen die noch ausstehenden Löhne zu zahlen. Ich sagte ihnen, daß sie dazu nicht in der Lage sei, »da sie heute ihre Tochter zu Grabe getragen hat«, daß ich es aber für sie schreiben würde. Sie bedankten sich und baten mich, dem Herzog über ihr Elend und ihren Hunger zu berichten, doch »in nicht mehr als sechs Zeilen, Sir, denn für mehr können wir nicht bezahlen«.
    Ich ging ins Schreibzimmer, um mich an die Arbeit zu machen, und fand dort Finn vor, der gerade dabei war, ein Stück Leinwand, das er im Theater gestohlen hatte, auf ein paar Holzleisten zu spannen. Die Leinwand war schon bemalt, und zwar schien es sich um einen kleinen Teil eines Gebäudes – eines Schlosses oder eines Turmes – zu handeln.
    »Was ist das, Finn?« fragte ich. »Der Grundstein deines neuen Herrenhauses?«
    »So ist es«, erwiderte er, »denn ich werde dein Portrait darübermalen, und dieses wird dann für mich – wie du ja selbst gemeint hast – der Anfang zu einem neuen Leben sein.«
    Als er mit dem Spannen der Leinwand fertig war, lehnte er
diese gegen ein paar Bücher auf dem Tisch, an dem ich mit meinem Brief für die Seeleute beschäftigt war, wodurch er einen störenden, viereckigen Schatten auf mein Papier warf. Ich sagte nichts. Ich sah ihm zu, wie er einen Pinsel und eine Palette in die Hand nahm, auf letztere etwas weiße Farbe tat und dann anfing, die ganze Leinwand mit diesem Weiß abzudecken und das Schloßstück auszulöschen. Als ich all dieses Weiß als Auftakt zum Malen meines Gesichtes sah, tauchte etwas in meiner Erinnerung auf, woran ich lange nicht mehr gedacht hatte, und zwar der weiße »Hauch des Todes«, den Katharine in der Zeit ihres Wahnsinns an mir wahrgenommen hatte. Diese Erinnerung pflanzte in meinen Bauch einen kleinen Wurm des Unbehagens, daher schlug ich sie mir gleich wieder aus dem Kopf und konzentrierte mich auf meinen Brief. Ich schrieb ihn in der eleganten, ordentlichen Handschrift, mit der ich meine Episteln an den König geschrieben hatte. Ich sagte darin: »Wenn England nicht diejenigen hochhält und für diejenigen sorgt, die für es in den Kriegen gekämpft haben, was soll dann aus ihnen und England werden? Werden sie, Sir, nicht beide zu kränkeln anfangen?«
    Da ich in der richtigen

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