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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Stimmung zum Briefeschreiben war, nahm ich danach den Federkiel erneut zur Hand und schrieb an Will Gates. In diesem Brief erzählte ich ihm alles, was in meinem Leben geschehen war, und bat ihn, einen der Stallburschen mit meinem Pferd nach London zu schicken. Der Gedanke an Danseuse löste Staunen in mir aus, daß so ein schnelles und prächtiges Tier noch mir gehörte.
     
    Einige Wochen vergingen, in denen mein Portrait langsam auf der weißen Leinwand auftauchte (wie ein Gesicht aus dem Norfolk-Nebel). Ich sehe darauf etwas ernst aus – als
sei ich ein Vogt oder Bibliothekar –, doch meine Augen sind voller Licht. Finn möchte das Bild Ein Arzt nennen, wodurch ich anonym werde, aber das macht mir nichts aus. Das einzige Ärgernis war, daß ich mehrere Stunden hintereinander stillsitzen mußte, meine Hand unbequem in der Schwebe, da ich gerade das Skalpell aus meinem Kasten mit dem Chirurgiebesteck nahm.
    Ich sah mir das entstehende Bild genau an, um festzustellen, ob es irgend etwas Erfundenes oder Unwahres enthielt. Doch ich freue mich, sagen zu können, daß dies nicht der Fall war. Hinter meinem Kopf war kein Utopia seiner Phantasie, sondern einfache, dunkle Täfelung. Ich gratulierte Finn. Ich sagte zu ihm, daß es die beste Arbeit würde, die er je ausgeführt habe, woraufhin ein ziemlich törichtes Grinsen über sein Gesicht lief.
    In diesen Wochen, in denen das Portrait gemalt wurde, boten wir an, das Haus in Cheapside zu verlassen. Mir lag sogar sehr viel daran, denn ich schlief nicht gerne in dem Bett, in dem Katharine gestorben war. Doch Frances Elizabeth weinte und bat uns zu bleiben. So antwortete ich ihr, daß ich bis zum Sommer bleiben würde. Finn würde vermutlich noch länger bei ihr wohnen, so gut gefiel ihm das Zimmer, in dem er schlief und in dem er nun an dem Bild arbeitete, wodurch Frances Elizabeth gezwungen war, ihre Briefe in der Wohnstube zu schreiben. Doch sie klagte nie über diese Enteignung. Sie war zu jedem Opfer bereit, um ihre Witweneinsamkeit in Schach zu halten.
    Im späten Frühjahr wurde das Portrait fertig, und in der gleichen Woche wurde mir Danseuse zurückgebracht.
    Ich hatte dem armen Finn nicht schmeicheln wollen, als ich zu ihm sagte, daß es ein sehr schönes Bild sei. Es war kein
grelles Bild. Es war vielmehr nüchtern und dunkel. Doch läßt das Gesicht auf diesem Bild Ein Arzt , über dem ein kaltes, blasses Licht liegt, die widerstreitenden Gefühle dieses Arztes erkennen – seine Liebe zum Beruf und seine Angst, was er ihm enthüllen wird.
    Ich gab Finn sieben Shilling dafür, ein Zehntel dessen, was er von einem reichen Mann bekommen hätte, aber fast alles, was mir verblieben war, nachdem ich den Burschen für seine Reise mit Danseuse bezahlt und einen Stall und Hafer für sie gefunden hatte.
    Sie war in ausgezeichnetem Zustand. Ihre Hinterbacken glänzten. Ihr Sattel und ihr Zaumzeug waren abgeseift und poliert worden, und in der Satteltasche fand ich einen Brief von Will, der wie folgt lautete:
     
    »Werter Sir Robert,
    es war mir eine mächtige Freude, eine Nachricht von Euch zu bekommen und zu erfahren, daß Ihr in London weilt, wo Gott Euch vor der Pest behüten möge.
    Ich schicke einen Burschen mit Eurer Stute, die jeden Tag ein wenig geritten worden ist und gutes Heu bekommen hat, so daß Ihr nicht zu befürchten braucht, daß wir sie vergessen haben.
    Ich muß berichten, daß die schlimme Pestilenz auch nach Norwich gekommen ist, wo sie ganz schrecklich für alle ist. Außer daß der Viscomte de Confolens, als ihm etwas davon zu Ohren kam, nach Frankreich zurückgegangen ist und hier nicht mehr gesehen wird, was nicht schrecklich ist, sondern ganz ausgezeichnet, denn ich und M. Cattlebury, wir haben ihn beide sehr verabscheut und gehaßt. Möge er nicht wiederkommen!
    Wir freuen uns, daß Euer Leben weitergeht, und senden Euch unsere Segenswünsche für Euer kleines Mädchen Margaret, welches ein Name ist, der in meiner Familie, und ich glaube auch in ganz Norfolk, sehr beliebt ist.
    Euer Diener    
    Wm. Gates«
     
    Nachdem ich den Brief gelesen hatte, der mir Will – wie es seine Briefe immer taten – wieder in sehr freundliche Erinnerung brachte, ebenso wie mein behagliches Leben auf Bidnold, von dem er ein Teil gewesen war, hatte ich es plötzlich eilig, mein Pferd zu besteigen, um wieder einmal zu sehen, wie es war, durch die Straßen zu reiten, anstatt zu Fuß durch den Schlamm und Schmutz zu stapfen.
    Zunächst ritt ich zur

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