Zeit der Sinnlichkeit
Anwälten, Kurzwarenhändlern und so weiter. Sie werden nicht sieben Livres für ein Bild zahlen, aber doch wenigstens etwas, denn es gibt wohl kaum einen Sterblichen, der nicht das Gefühl hat, einen höheren Status gewonnen zu haben, wenn ein Portrait von ihm an der Wand hängt.«
Ich unterbreitete Finn diesen Vorschlag, als hätte ich den Gedanken schon seit geraumer Zeit erwogen, doch in Wirklichkeit war er mir in ebendiesem Augenblick in den Sinn gekommen. Nachdem ich ihn vorgebracht hatte, erkannte ich aber, daß etwas dran sein könnte. Finn sah es auch so, denn er legte seine Näharbeit nieder und sah mich mit einem Blick an, der froh und voller Hoffnung war.
Noch am gleichen Abend wurde Margaret von der Hebamme aus ihrer Krippe gehoben, in Schals und Decken gewickelt und zum Haus der Amme gebracht. Ich begleitete sie, weil ich die Frau selbst sehen wollte, um mich zu vergewissern, daß sie nicht krank und ihr Haus nicht schmutzig war.
Es war das Haus eines Geldverleihers. Es war hoch und schmal und hing über den Fluß. In einem der Zimmer machte der Makler seine Geschäfte und schrieb seine Rechnungen; alle anderen schienen voller Kinder zu sein – acht oder
neun –, in jedem Alter zwischen zwei und zwölf, und als uns die Amme begrüßte, hielt sie das zehnte Kind im Arm, ein dickes Kind von vielleicht sechs Monaten.
Sie führte uns in die Wohnstube. Ich sah, daß ein ordentliches Feuer brannte, und roch den vertrauten Duft von Kräutern, die darauf verbrannt wurden, um den Pesterreger fernzuhalten. Die Amme legte ihren eigenen Säugling auf einen kleinen Teppich vor dem Kamin und nahm Margaret in die Arme. Sie war eine Frau von vielleicht fünfunddreißig Jahren mit einem freundlichen Lächeln, das mich an Eleanor und Hannah erinnerte. Als sie einen Finger an Margarets Mund legte, begann diese sofort, daran zu saugen. Dann kam eines ihrer Kinder in die Stube, ein kleiner Junge, der zwar ärmlich gekleidet war, aber eine gesunde Gesichtsfarbe hatte, stellte sich neben seine Mutter und blickte in Margarets rundes Gesicht.
»Sie sieht wie ein kleiner flacher Knopf aus«, sagte er.
»Pst«, sagte die Amme. »Siehst du ihre Augen? Sie sind von der Farbe der Kornblumen.«
Wir blieben nicht lange, denn ich hatte einen guten Eindruck von der Frau gewonnen. Sie erzählte mir, daß sie reichlich Milch habe, »die nicht sauer ist, denn ich esse kein weiches Obst und trinke keinen Apfelwein«, und »sehr aufmerksam und fürsorglich gegenüber all den Kleinen« sei. Als ich ihr etwas Geld gab, fragte ich mich, ob sie es wohl für sich behalten durfte oder ihrem Mann geben mußte, der es dann gegen Zinsen auslieh.
Wir gingen am Kai entlang zurück. »Seltsam«, sagte ich zu der Hebamme, als ich auf das Wasser schaute, »wir haben noch gar keinen Winter gehabt, und jetzt ist es schon Frühling.«
Die Nacht verbrachte ich auf dem Boden neben Katharines Bett. Die Hebamme war weggerufen worden, und die anderen Frauen waren zu ihren Familien zurückgekehrt, so daß die Verhältnisse im Haushalt wieder denen vor der Geburt glichen, wenn man davon absah, daß Katharines Stimme nicht mehr zu hören war, sondern nur noch ihr Schnarchen und Seufzen.
Als ich in den frühen Morgenstunden ihre Wunde verband, sah ich, daß aus dieser immer noch Blut sickerte und daß auch aus ihrer Scheide welches in die Tücher floß. Ich wußte nicht, wie ich diese Blutung zum Stillstand bringen konnte, auch nicht, warum die Gerinnung nicht einsetzte und die Wunde keine Anstalten machte zusammenzuwachsen. Dann erinnerte ich mich daran, daß wir im St.-Thomas-Hospital einmal bei einem Mann, der aus dem After blutete, einen Kopfaderlaß durchgeführt hatten und daß dieser äußere Einschnitt das Bluten in seinen Eingeweiden zum Stillstand gebracht hatte.
So griff ich nach Katharines Arm. Er war kalt, und auf seiner Haut war ein feuchter Schimmer. Ich fand die Ader, machte den Einschnitt und ließ ein wenig Blut in ein Becken tröpfeln. In diesem Augenblick öffnete sie die Augen. Sie starrte mich an, in mein Gesicht, in meine Gedanken. Sie starrte unentwegt. Ohne Unterlaß. Sie sah alles, was ich getan hatte, und alles, was zu fühlen mir nicht möglich gewesen war. Ich wandte mich vor diesem Blick ab, sah zur leeren Krippe. Ich dachte, daß das Starren, wenn ich wieder hinschauen würde, milder, ja versöhnlich geworden sein würde. Doch das war es nicht.
Ich streckte die Hand aus. Mehr tat ich nicht. Ich flüsterte keinen
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