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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Shoe Lane, zu dem kleinen, dunklen Laden eines Graveurs, an dem ich oft vorbeigekommen war, als ich noch in Ludgate wohnte. Ich ging hinein und gab ein kleines Messingschild mit den einziselierten Worten R. Merivel. Arzt. Chirurg. in Auftrag.
    Dann stieg ich wieder auf, drehte mit Danseuse um und brachte sie auf einen angenehmen Trab. Wir ritten an Blackfriars vorbei, überquerten den Fluß auf der Southwark Bridge und kamen so in kürzester Zeit zum Haus von Rosie Pierpoint.
     
    Ich will nicht leugnen, daß das, was folgte, sehr erfreulich war. Wenn ich einmal geglaubt hatte, mein Verlangen nach Rosie sei durch den Verlust anderer, wertvollerer Dinge erstickt worden, so mußte ich jetzt erkennen, daß das einstmals lodernde Feuer, nach allem, was geschehen war, noch immer nicht ganz erloschen war.
    Während ich über dem Quäker-Haferbrei und Witwen-
Eintopf dünn geworden war, hatte es Rosie zu Wohlstand und körperlicher Fülle gebracht; die süßen Grübchen über ihrem Hintern waren jetzt tief, und wenn sie lächelte, sah man ein dickes Doppelkinn. Doch all das gefiel mir.
    Sie erzählte mir, daß die Leute, seit die Pest in London herrsche, »wie verrückt nach Waschen und nach dem Kochen der Kopfkissenbezüge in Lavendelwasser sind« und daß sie sich nicht erinnern könne, daß ihr Geschäft schon einmal so floriert habe.
    Zu ihren Mahlzeiten gab es nicht mehr bloß Fisch und Brot: Sie konnte sich jetzt Hähnchen kaufen sowie Pasteten aus den Küchen und Sahne aus den Molkereien. Sie arbeitete hart, und als Belohnung verwöhnte sie sich. Sie glaubte, sie sei durch ihre Kaminfeuer, ihre Waschkessel mit parfümiertem Wasser und das gute Essen vor der Pest sicher, »denn es sind die Armen und Frierenden, die daran sterben, Sir Robert, und nicht solche wie ich«.
    Wir lagen den ganzen Nachmittag über in ihrem Bett, und ich erzählte ihr von meinem Entschluß, daß ich mich nämlich in London wieder als Arzt und Chirurg niederlassen wolle, um so und nicht anders meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie setzte sich auf, stützte sich auf einen Ellbogen und streichelte mit ihrer dicken, kleinen Hand die Nachtfalter auf meinem Leib und sagte: »Dann wird alles wieder so wie früher sein, bevor Ihr nach Whitehall gegangen seid.« Da ich keine Lust hatte, ihr zu widersprechen, nickte ich und erwiderte: »Ja. Als ob es die Zeit dazwischen nicht gegeben hätte.«
    Ich verließ sie gegen Abend. Als sie mir einen feuchten Abschiedskuß auf den Mund gab, erzählte sie mir, daß der König nach London zurückgekehrt sei. »Aber paßt auf«, sagte
sie lächelnd, »daß Ihr nicht in seine Nähe kommt, denn Ihr wollt doch nicht, daß sich Euer Leben im Kreise dreht!«
     
    Ich ging nicht in seine Nähe. Natürlich nicht.
    Ich borgte mir von Frances Elizabeth zwei Shilling und neun Pence zum Bezahlen meines Messingschilds und nagelte es an ihre Tür unter ihr Schild Briefeschreiben.
    Im weiteren Verlauf des Sommers schien die Pest abzuflauen, und da die Leute glaubten, daß sie von ihnen ging, hatten sie keinen Grund mehr, die Ärzte zu verachten. Die Kranken und Verletzten von Cheapside und Umgebung fingen nun an, zu mir zu kommen, einige, weil sie mein alter Freund, der Apotheker, geschickt hatte, einige, weil sie mein Schild gesehen hatten, und einige, weil sie vom Strom der Gerüchte und des Klatsches, der durch die Kaffeehäuser und Tavernen schwappte, auf meine Türschwelle geworfen worden waren.
    Meist wurde ich von Verwandten oder Nachbarn der Leidenden geholt und behandelte diese dann in ihren Häusern; doch manchmal kamen sie mit ihren Wunden und Schmerzen auch zu mir. Ich konnte sie dann nur in der Wohnstube empfangen und behandeln, so daß diese mit der Zeit zu einem Operationsraum wurde, ähnlich denen, die wir im Whittlesea gehabt hatten. Also wurde Frances Elizabeth, die von Finn schon aus ihrem Schreibzimmer vertrieben worden war, nun von mir noch ihrer Wohnstube beraubt. Doch selbst da beklagte sie sich nicht. Sie kaufte ein kleines Schreibpult, stellte es in ihr Schlafzimmer und schrieb dort ihre Briefe. Ihre Schrift und ihr Stil wurden im Laufe der Zeit, im gleichen Maße, wie ihre Angst vor der Einsamkeit nachließ, immer eleganter und sicherer.
    An den Dienstagnachmittagen besuchte ich Rosie – so wie es früher meine Gewohnheit gewesen war –, und wir waren mit dieser Regelung sehr zufrieden, da keiner von uns beiden mehr vom andern wollte, als diese wenigen Stunden geben konnten. Ich gab ihr kein

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