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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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liegen.
    Ich wischte mir an Tüchern die Hände ab. Ich sah Katharine nicht ins Gesicht und erlaubte mir auch nicht, mir ihr Leiden vorzustellen. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf meine Hände konzentriert.
    Ich reinigte das Skalpell und wischte das Blut auch von der Ermahnung Schlaft nicht. Ich brachte die Klinge über dem unteren Drittel der Gebärmutter in Stellung und machte quer einen Schnitt.
    Wieder floß Blut. Auf meine Hände. Auf die Schlingen der Eingeweide. Ich legte das Skalpell zur Seite. Ich häufte Kompressen auf und sah, wie sie sich mit Blut füllten. Ich entfernte sie wieder und drückte neue auf die Öffnung. Ich fühlte, wie mir ein einzelner Schweißtropfen die Stirn hinunterlief und dann in meinem Auge brannte. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag, und für einen winzigen Augenblick, vielleicht nicht länger als eine Sekunde, wußte ich nicht mehr, wo ich war.
    Doch ich wurde weder ohnmächtig, noch zauderte ich. Ich zog die Ränder des Einschnitts, den ich in die gedehnte Gebärmutterwand gemacht hatte, auseinander und fühlte, wie der Kopf des Kindes gegen meine Finger preßte.
    »Helft mir jetzt«, sagte ich zu der Hebamme, »denn meine Hände sind zu groß, um hineinzugreifen. Ich halte den Einschnitt offen. Legt Eure rechte Hand wie einen Schuhlöffel hinter den Kopf und drückt ihn dann, ohne zu zerren, ganz behutsam heraus.«
    Ich ging auf Katharines Seite, und die junge Hebamme, die ich mit einer Blumenverkäuferin verglichen hatte, griff in Katharines Gebärmutter und holte das Kind heraus, indem sie zunächst, wie ich es ihr gesagt hatte, vorsichtig den Kopf herausführte, dann dem Kind ihre kleinen Hände unter die
Achseln legte und so den schlüpfrigen Säuglingskörper herauszog.
    Das Kind lebte.
    Aber es war kein Anthony. Es war ein Mädchen.

Ein Licht auf dem Fluß
    N ach den Worten der Schöpfungsgeschichte »ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen«, bevor er Adams Fleisch öffnete und die Rippe entnahm, um Eva daraus zu machen. Ich habe das immer als sehr rücksichtsvoll von Ihm angesehen, denn dadurch wurden Adam große Schmerzen erspart, und als Arzt habe ich mir oft gewünscht, meine Patienten in einen Zustand versetzen zu können, in dem sie nicht merkten, daß ich ihnen weh tat. Fabricius hatte einmal über einen gewissen Arnoldus Villanovanus gesprochen, der im vierzehnten Jahrhundert gelebt und das Geheimnis eines Schlafes entdeckt hatte, der nicht von Schmerzen unterbrochen wurde. Doch die Ingredienzen dieses Geheimnisses sind nie niedergeschrieben und auch nicht über die Jahrhunderte weitergeraunt worden. Mein Wunsch ist also nicht erfüllt worden, und als ich mein Skalpell in die Hand nahm, um den Einschnitt in Katharines Bauch zu machen, betete ich nicht darum, daß sie nichts spüren möge, weil ich wußte, daß dies unmöglich war; meine Gebete galten nur mir, meinem eigenen Können.
    Doch als ich ihre Gebärmutter aufschnitt, fiel sie plötzlich in eine tiefe Bewußtlosigkeit. Diese konnte nicht durch die paar Opiumtropfen verursacht worden sein, die wir ihr in den Mund geträufelt hatten, denn Opium wirkt langsam und verstohlen. Ich nahm zunächst an, daß sie durch die großen Qualen, die ihr die Wunde bereitete, in Ohnmacht gefallen sei. Sie erwachte jedoch mehrere Stunden nicht aus ihrem Koma. Ihr Atem wurde röchelnd wie bei Pearce während sei
ner letzten Krankheit. Ich konnte mir daher nur vorstellen, daß dieser Schlaf der Schlaf des herannahenden Todes war.
    Ich konnte den Schlitz in der Gebärmutter nicht zunähen, da die Wand durch die Dehnung dermaßen dünn geworden war, daß Nähte sie zum Zerreißen gebracht hätten, und so überließ ich die Öffnung sich selbst, damit sie zu gegebener Zeit selbst heilen und zuwachsen würde. Den Einschnitt im Unterleib nähte ich zusammen und gab ein wenig Pulv. Galeni darauf, dann ließ ich ihn von den Frauen mit Mull abdecken und Verbände anlegen, die um das Gesäß herumgeführt wurden. All das tat ich, ohne daß Katharine merkte, was mit ihrem Körper geschah; sie wußte nicht einmal, daß ihr Kind lebend herausgeholt worden war, so wie Julius Caesar oder der gute Macduff in Shakespeares Drama Macbeth , dessen Geschichte mir Amos Treefeller in seinem nach Hutständern aus poliertem Holz riechenden Hinterzimmer erzählt hatte.
    Das Kind wurde von der Hebamme und den anderen Frauen weggenommen, um gewaschen, untersucht und dann in Windeln gewickelt zu werden. Sie erzählten mir, daß

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