Zeit der Sinnlichkeit
Treefellers Zimmer saß und meine Mutter mir übers Haar strich und sagte, daß es von der Farbe des Sandes sei, nicht mehr empfunden habe.
In diesem Zustand der Ruhe und Zufriedenheit entschließe ich mich, dem König von meinem Kind zu erzählen. Ich merke, daß ihn die Geschichte von Margaret stark bewegt; er erzählt mir dafür, wie sehr er das erste seiner unehelichen Kinder, den Herzog von Monmouth, liebt, und rät mir, meine Tochter nicht zu vernachlässigen, »sondern laßt sie in Euer Leben herein, Merivel, und gebt ihr großzügig von Euch«.
Ich nicke und verspreche, das zu tun, und weil ich an Margaret denke, drehe ich den Kopf zur Seite und schaue zum offenen Fenster hinaus, wo sich der Fluß nach Osten hin erstreckt. Dort sehe ich ein großes, orangefarbenes Leuchten
am Himmel. Ich wende mich wieder dem König zu. »Sir«, sage ich, »seht doch! Wenn mich nicht alles täuscht, brennt ein großer Teil der Stadt!«
Kaum hatte ich das gesagt, da hörten wir auch schon Stimmen im angrenzenden Zimmer und dann Klopfen an der Tür. Der König erhob sich sofort, seine heitere Laune war wie weggeblasen, so daß er von einem Augenblick zum andern einen düsteren Eindruck machte.
Leute drängten sich ins Zimmer. Unter ihnen erkannte ich den Mann aus dem Marineamt, von dem ich einst von der Geduld eines Marmorschneiders erfahren hatte. Dieser war es auch, der dem König erzählte, daß in der letzten Stunde plötzlich ein Ostwind aufgekommen sei, der das Feuer »in einer Breite von einer halben Meile vor sich hertreibt«.
Der König vergaß meine Anwesenheit völlig und ging mit ihm und den anderen Männern in seinen Salon. Ich hörte ihn die Anweisung geben, den Bürgermeister herauszuholen und ihm zu sagen, er solle alle Holzhäuser, die vor dem Feuer liegen, niederreißen lassen, »denn das ist die einzige Möglichkeit, das Feuer zum Stillstand und Erlöschen zu bringen«. Die Männer liefen in großer Eile weg, und ich hörte, wie der König Chiffinch zurief, er solle seinen Bruder, den Herzog von York, über das Geschehen informieren und einen Stallburschen ein schnelles Pferd satteln lassen.
Dann eilte er, ohne noch ein Wort zu mir zu sagen oder sich noch einmal umzusehen, durch die großen Türen zur Steingalerie hinaus, und ich blieb allein in seinen Gemächern zurück und hörte nur noch das Läuten und Schlagen von zweihundert Uhren, wobei jede zu ihrer eigenen Zeit die Stunde schlug.
In großer Verwirrung blieb ich noch eine Weile, wo ich war. Dann wußte ich plötzlich, was ich zu tun hatte: Ich mußte zu Margaret. Ich ging in den Hof hinunter und bat um mein Pferd. Während ich wartete, daß man es mir brachte, blies mir ein Windstoß den Hut vom Kopf und wirbelte ihn davon in ein Blumenbeet. Ich holte ihn mir wieder und behielt ihn in der Hand. Dann bestieg ich Danseuse und ritt zum Tor hinaus; ich wandte mich nach Osten in Richtung des Hauses des Geldverleihers, das, nach den Flammen zu urteilen, mitten im Feuer lag.
Der Wind war wirklich sehr heftig. Er blies mir ins Gesicht und zerzauste Danseuse die Mähne. Als wir uns der Stadt näherten, sah ich unzählige verkohlte Teilchen, die, leichter als Luft, vom Wind dahingetragen wurden und sanft wie Schnee überall um mich herum niederfielen. Dann hatte ich auch den Geruch des Brandes in der Nase und schien ihn mit jedem Atemzug tiefer einzuatmen, so daß er mich zu ersticken und zu erwürgen drohte und ich auf das Kopfsteinpflaster ausspuckte.
Auf den Straßen wimmelte es jetzt von Menschen, von denen sich einige, mit Leitern oder Handwagen ausgerüstet, mit mir auf den Gestank und den Rauch zubewegten. Manche standen in ihren Nachtgewändern einfach auf der Straße herum, um zu schauen, andere gaben sich ihrer Angst hin und flehten Gott und den König an, das Feuer zu löschen.
Ich ritt jetzt in nördlicher Richtung die St. Anne's Alley hinauf. Wenn ich die Lage richtig einschätzte, stand westlich der London Bridge entlang dem Fluß alles in Flammen, so daß ich, um zum Haus des Geldverleihers zu gelangen, einen Bogen um das Feuer schlagen mußte. Doch der Rauch legte sich nun wie Nebel über die Straßen, und nachdem ich mich
zuerst nach Norden, dann nach Osten, dann wieder nach Norden und wieder nach Osten gewandt hatte, befand ich mich in einer Straße, die ich nicht kannte, und hatte jede Orientierung verloren.
»Wo bin ich? Was für eine Straße ist das?« fragte ich ringsherum, doch niemand hörte oder beachtete mich, so daß
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