Zeit der Sinnlichkeit
Winter über?« fragte Finn bestürzt. »Aber dann werde ich verhungern, Sir Robert! Oder an Frostbeulen und Kälte sterben.«
»Ihr könnt mir glauben«, sagte ich, »daß sich niemand mehr als ich wünscht, Fröhlichkeit und Lachen möchten bei Seiner Majestät wieder einziehen. Aber ich kann Euch versichern, daß er bis dahin keine neuen Maler, Oboisten, Tennislehrer oder dergleichen Pöbel in seine Dienste nehmen wird …«
Meine unbeabsichtigte Einbeziehung des Wortes »Pöbel« machte Finn zutiefst niedergeschlagen. Ich war nahe daran, ihm zu erläutern, daß ich mich als Sohn eines Handschuhmachers, als gescheiterter Anatom und Arzt auch zu dieser Kategorie von Menschen zählte. Wir sind alle, hätte ich beinahe gesagt, mehr oder weniger Spreu vom Weizen oder schwerelose Federn, die der Wind verweht oder das Feuer verbrennt und erstickt. Ich unterließ es jedoch, weil ich es für besser hielt, vor Finn meine bescheidene Herkunft, mein Versagen in der Medizin und meinen deterministischen Pessimismus zu verheimlichen, denn für den Fall, daß er mir eines Tages
doch noch beibrachte, etwas von Wert zu malen, wollte ich nicht auf so grausame Weise den Funken seines Glaubens erstickt haben. Ich gab mich damit zufrieden, auf Finns grünbehostes Knie zu hauen und mit lärmender Fröhlichkeit zu sagen: »Nun laßt nicht gleich den Kopf hängen, alter Finn. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob Ihr nicht doch noch vor Weihnachten in Whitehall sein werdet.«
Nachdem einige Wochen vergangen waren und ich vom König noch immer keine Nachricht erhalten hatte, wurde mir langsam klar, daß das Schreiben des Briefs zwar vorübergehend meine Angst verringert hatte, mich aber jetzt in eine womöglich noch schlimmere Verzweiflung stürzte. Denn bevor ich den Brief abgeschickt hatte, konnte ich mir noch einreden, daß der König sich jederzeit wieder an mich erinnern könnte, daß er mich in Gedanken gewissermaßen nur eine Weile verlegt hatte, mich aber plötzlich, vielleicht bei einem Kegelspiel oder im Verlaufe irgendeines schwelgerischen Festessens, wiederfinden würde. Doch jetzt konnte ich sein Schweigen nur noch als Vergessenwollen auslegen. Nicht einmal Minettes Tod hatte ihn zu einem Brief an mich bewegen können. Das allein schon war Beweis genug, daß er mir nicht mehr soviel Zuneigung wie früher entgegenbrachte und daß ich aus seinem Leuchtkreis in das diesen umgebende Dunkel gestoßen worden war.
Das ganze Ausmaß und düster Drohende dieser Dunkelheit lastete besonders beängstigend während der Nacht auf mir, so daß ich mir angewöhnte, eine Kerze neben meinem Bett aufzustellen oder, was noch besser war, meinem Haus überhaupt zu entfliehen und meine Nächte in Meg Storeys Dachkammer im »Jovial Rushcutter« zu verbringen, wo ich den
Schlaf mit Bier, lärmenden Vereinigungen und närrischen Geschichten über meine Reisen in das Land des River Mar in Schach hielt, einem Land meiner Phantasie, das in Megs unwissendem Kopf irgendwo »gleich über Afrika« lag und über das ich die spannendsten Lügengeschichten erfand. »Das bevorzugte Element der Eingeborenen vom River Mar«, erzählte ich ihr, »ist das Wasser. Und so schlafen sie denn auch mit ihrem Körper unter Wasser. Und überall am Ufer des Mar hängen Schlaufen aus Tierhäuten von den Mangrovenbäumen, um die Köpfe der Schlafenden über Wasser zu halten, damit sie nicht ertrinken.« Meg seufzte dann immer verwundert über diese unvorstellbaren Dinge und drohte, eingelullt durch meine Stimme, einzuschlafen, während ich hörte, wie die arme Danseuse draußen auf dem eisigen Boden mit den Hufen scharrte und vor Kälte wimmerte.
Wenn auch der Trost, der mir durch Meg Storeys drallen, kraftvollen Körper zuteil wurde, recht beträchtlich war, brauchte ich doch dringend etwas geistigen Trost, und es muß wohl um diese Zeit gewesen sein, daß ich anfing, Gott kleine Nachrichten zukommen zu lassen. Ich stellte mir diese schwachen Mitteilungen als winzige Lichtpunkte vor, kleine sich krümmende Glühwürmchen, die Gott kaum bemerken würde, wenn er nicht gerade sein Teleskop direkt darauf gerichtet hielt. Die Tage des täglichen Gedankenaustauschs zwischen Gott und mir waren längst vergangen. Sie hatten ein Ende mit dem Feuer gefunden, das ohne Zweifel nicht nur die Körper meiner armen Eltern zusammen mit all den Bändern und Federn, den Materialien ihres unschuldigen Gewerbes, verzehrt hatte, sondern auch das, was von meinem Glauben noch
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