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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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schön, um mit sorgen- und reuevollen Gedanken vergeudet zu werden. Finns Schicksal lag nicht in meiner Hand. Ich zog meinen Kittel an und setzte meinen Schlapphut auf, und dann trug ich mit Wills Hilfe meine Staffelei und die Malutensilien in eine entfernte Ecke des Südrasens, von wo aus ich einen herrlichen Blick auf den
Park hatte – auf die Buchen in Purpur und Gold, die Ulmen in gelblichem Rotbraun, die feuerroten Kastanien und den sanftbraunen Streifen äsenden Wildes darunter.
    Ich blickte auf dieses Panorama. Ich wußte, daß es meine Fähigkeiten als Zeichner, und erst recht als Ölmaler, bei weitem überstieg, das Laub eines Baumes in allen Einzelheiten zu malen. Ich konnte aber versuchen, die Farbtöne einzufangen. So begann ich denn, meine Farben wild zu mischen und sie, ohne erst etwas mit Kohle auf meiner Leinwand vorzuzeichnen, mit kühnen Pinselstrichen und -schwüngen aufzutragen. Schicht um Schicht, einen weißen Klecks für eine Wolke, tanzende grüne und gelbe Linien für das saftige Gras, Kaskaden von Orange, Rot und Gold in allen Schattierungen für die Kastanien, eine tiefdunkle Masse aus Purpur, Braun und Schwarz für die entfernteren Buchen. Ich arbeitete wie ein Heizer oder Glasbläser, vor Anstrengung schnaufend. Meine Temperatur stieg an, und mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich war Feuer und Flamme, wie mein Gemälde. Ich wußte, daß es so wild, so undiszipliniert, so maßlos wie mein Charakter war, aber es drückte in all seinem Dilettantismus genau meine Resonanz auf diesen Herbsttag aus und enthielt daher für mich eine zufriedenstellende Logik. Darüber hinaus fand ich, als es schließlich fertig war und ich ein paar Schritte zurücktrat, um es mit halbgeschlossenen Augen anzuschauen, daß es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bild vor mir hatte. Vielleicht war es so, als ob es ein Kind gemalt hätte. Es war unreif und gewöhnlich. Es waren zu viele und zu grelle Farben. Dennoch war es nicht verlogen (nicht so, Finn, wollte ich sagen, wie Eure schön gemalten griechischen Säulen oder Schäferinnen-Picknicks). Es gab im wesentlichen das wieder, was ich gesehen hatte. Ich ging hinter die Lein
wand und kritzelte in Französisch den Titel darauf: Le Matin de Merivel, l'automne.
    Als ich wieder aufschaute, sah ich Finn, in recht lebhaftes Lincoln-Grün gekleidet, über den Rasen zu mir kommen. Ich freute mich, daß er nicht verhungert war, und ich freute mich noch mehr, als ich das kleine, wissende Lächeln auf seinem Gesicht sah, aus dem ich ersehen konnte, daß er auf meine Worte gehört und mir, als Anreiz für den Gefallen, zu dem ich seiner Meinung nach in der Lage war, etwas mitgebracht hatte. Denn ich liebe es, Geschenke zu bekommen. Obwohl ich mittlerweile nutzlosen Krimskrams und objets d'art in Hülle und Fülle besitze, begeistert mich doch jedes weitere Geschenk aufs neue, und ein schöner Zinnkrug beispielsweise oder selbst ein Marderkopf vom alten Bathurst kann mir für einen ganzen Tag gute Laune bescheren.
    »Finn!« rief ich herzlich. »Ihr seid also nicht, wie der arme Tom, in einer kleinen Hütte dem Verhungern nahe, wie ich schon befürchtet habe!«
    »Was meint Ihr damit?« fragte Finn und blieb stehen.
    »Oh, nur einer meiner Scherze!« lachte ich. »Kommt her und schaut Euch mein Bild an!«
    Finn kam näher. Die Sonne war weitergewandert und fiel nun voll auf mein Bild, so daß die Farben womöglich noch greller wirkten, als sie es in Wirklichkeit schon waren. Der Künstler starrte auf mein Werk. Langsam breitete sich über seinem Gesicht ein Ausdruck des Widerwillens aus. Ich sah, wie er nach Worten rang, doch sie schienen ihm im Halse steckenzubleiben, und er wandte sich ab.
    »Nun?« fragte ich.
    »Es ist«, sagte Finn, »ein Auswuchs.«
    »Ja«, pflichtete ich bei, »das ist wahrscheinlich der richtige Ausdruck dafür.«
    »Zu Cromwells Zeit hätte man Euch …«
    »Was, Finn?«
    »Nein, ich meine es nicht so. Aber wirklich, Ihr könnt doch nicht …«
    »Was?«
    »Ihr dürft dieses Bild niemandem zeigen. Ihr solltet es verbrennen.«
    »Wie ich sehe, nehmt Ihr Anstoß daran.«
    »Es bricht …«
    »Was bricht es?«
    »Alle Gesetze, alle Vorschriften und Regeln, die ich Euch mit so viel Mühe beizubringen suchte.«
    »Ja. Ihr habt zweifellos recht. Es ist ein betrüblicher Ausrutscher. Und doch, wißt Ihr, bedeutet es für mich die denkwürdige Wiedergabe meiner Empfindungen , die ich angesichts der Farben meines Parks habe. Was nur wieder einmal

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