Zeit der Sinnlichkeit
Landhaus, Pearce.«
»Nein! Es ist ein Palast! Und voller Abscheulichkeiten, wenn man von diesen scharlachroten Quasten ausgehen will.«
»Von denen kann man nicht ausgehen.«
»Antworte mir, Merivel. Was säst du?«
Ich sah wieder zu Boden. Die landwirtschaftlichen Metaphern, die sich überall in der Bibel finden, fand ich schon immer vereinfachend und primitiv, aber vor allem gefiel mir nicht, daß Pearce immer wieder die Betonung auf das Wort »säen« legte, da es in mir irgendwie die Erinnerung an meinen Brief an den König erweckte, der als Saat für das vergeßliche königliche Gehirn gedacht war, die aber wohl, und darüber konnte kein Zweifel mehr bestehen, auf steinigen Boden gefallen war.
Ich sah Pearce, der weiß und hager auf seinem weißen Kissen lag, wieder an.
»Farbe«, sagte ich. »Farbe und Licht. Das ist es, was ich säe.«
»Was für einen heidnischen, verrückten Unsinn du da von dir gibst, Merivel!«
»Nein«, sagte ich. »Hab doch ein wenig Vertrauen, Pearce. Durch Farbe und Licht hoffe ich zur Kunst zu kommen. Durch die Kunst hoffe ich zum Erbarmen zu kommen. Und durch das Erbarmen, wenn die Reise auch noch um einiges beschwer
licher sein mag als die, welche du gerade unternommen hast – dein Maulesel ist übrigens tot –, hoffe ich zur Erleuchtung zu gelangen.«
»Erleuchtung«, sagte Pearce naserümpfend, »ist nicht genug.«
»Möglich. Aber damit kann man sich erst einmal zufriedengeben.«
Bevor Pearce darauf etwas erwidern konnte, holte ich seine Suppenkelle von einem Schreibpult aus Nußbaumholz herunter, wo ein Diener sie hingelegt hatte, und reichte sie ihm.
»Hier ist deine Suppenkelle«, sagte ich. »Spiel leise darauf, bis du dich genügend wiederhergestellt fühlst, um den Weg nach unten zu wagen, wo ich dir etwas sehr Schönes zeigen möchte.«
»Was denn?« fragte Pearce argwöhnisch.
»Eine indische Nachtigall«, erwiderte ich. Und ich verließ das Zimmer, bevor Pearce eine verächtliche Bemerkung über meinen Vogel machen konnte.
Nun will ich Euch berichten, daß es mir zur Gewohnheit geworden war, meiner indischen Nachtigall jeden Tag ein wenig vorzusingen. Ich habe überhaupt keine Stimme, und die Töne kommen so flach heraus, daß Minette während ihres kurzen Lebens zu heulen und winseln anfing, sobald ich nur den Mund aufmachte, gerade so, als wäre sie ein Wüstenhund aus dem Lande Mar. Doch wenn ich auch kein Talent habe, so singe ich doch sehr gern. In meinem Kopf höre ich die richtigen Töne. Daß ich sie nur selten herausbringe, ist von Pein für meine Zuhörer, macht mir aber eigentlich nicht das geringste aus. Ich gleiche darin einem Mann, der versucht, sich über ein Weidengatter mit fünf Querbalken zu schwin
gen und der sich nach jedem Versuch doch wieder auf der falschen Seite vorfindet, ganz gleich, wie schneidig er läuft und wie beherzt er es angeht, dem aber dessenungeachtet seine Versuche immer wieder große Freude machen.
Finn hatte mir geraten, dem Vogel auf der Oboe vorzuspielen, und ich hatte einen Diener nach London geschickt, um mir ein solches Instrument zu besorgen, aber in der Zwischenzeit sang ich ihm vor, allerdings ziemlich leise, um ihn nicht zu erschrecken. Er sah mich aufmerksam an, bewegte seinen Schwanz auf und ab und ließ auf den bemalten Boden des Käfigs kleine Schnüre Scheiße fallen.
Als Pearce schließlich aufstand und in seinen speckigen schwarzen Sachen in mein Ruhezimmer kam, war ich gerade dabei, meiner Nachtigall vorzusingen. Geblendet vom Glanz der Einrichtung, hielt er sich die Hand vor die Augen, kam dann zum Käfig und stand blinzelnd wie eine Eidechse davor. Ich hörte auf zu singen, und der Vogel ließ sofort ein melodisches Trillern vernehmen.
»Das kenne ich«, sagte Pearce.
»Was ist es?« fragte ich aufgeregt. »Etwas von Purcell?«
»Nein«, sagte Pearce und sah mich mit einem mitleidigen Eidechsenblick an. »Das ist das Trillern einer ganz gewöhnlichen Amsel!«
»Sei kein Narr, Pearce«, erwiderte ich sogleich, bemerkte aber, daß mein Herz, das doch, wie ich weiß, gefühllos ist, aus dem Rhythmus gekommen war. »Der Vogel ist ein Geschenk. Er hat die Meere bereist.«
»Wann? Wer hat ihn hergebracht?«
»Ich habe keine Ahnung. Bestimmt ein Ornithologe. Der Vogel hat das Kap Hoorn umfahren. Also nichts mehr von Amseln!«
Pearce zuckte mit den Schultern und wandte sich vom Käfig ab, als ob ihn das Ganze überhaupt nicht mehr interessierte. »Man hat dich reingelegt, Merivel«, war
Weitere Kostenlose Bücher