Zeit der Sinnlichkeit
gewohnten, ungezierten Höflichkeit zum Tageteszimmer führt. Die Stallburschen folgen mit den schweren Schrankkoffern und Kisten.
An diesem Tag sah ich Celia nicht mehr.
Nach dem Abendessen, das ich mit Pearce allein eingenommen hatte, fragte ich meinen Koch, ob von oben Essen bestellt worden sei. Ich erhielt die Antwort, man habe etwas bouillon und ein Pflaumentörtchen hinaufgeschickt.
»Ist alles gegessen worden?« fragte ich.
»Ja«, sagte mein glotzäugiger Küchenchef Cattlebury, »wenn es nicht der Hund gefressen hat.«
»Der Hund?«
»Nun ja, Sir.«
»Welcher Hund, Cattlebury?«
»Mr. Gates sagt, Sir, daß sie einen Hund mitgebracht haben, einen kleinen Spaniel, so einen wie der, der Euch weggestorben ist, Sir Robert.«
Ja, ja, dachte ich voller Melancholie, als ich die Küchenräume wieder verließ, der König ist uns an Verschlagenheit doch allen überlegen! Denjenigen von uns, die er eines Ta
ges verlassen will, überreicht er dieses kleine, lebende Geschenk, um vorzusorgen, daß ihm unsere Liebe erhalten bleibt (wie kann er nur daran zweifeln!), denn es könnte immerhin sein, daß er uns irgendwann einmal wieder braucht. Arme Celia!
Als ich zu meinem Studierzimmer zurückkam, wo ich Pearce mit einem längst vergessenen lateinischen Text aus unserer Zeit in Padua zurückgelassen hatte, war mein Entschluß gefaßt, daß ich versuchen wollte, Celia ein paar verständnisvolle, tröstende Worte zu sagen, sobald sie mir dies gestatten würde. Dadurch würde vielleicht auch meine eigene Verzweiflung etwas geringer werden. Denn es konnte für mich jetzt kein Zweifel mehr daran bestehen, daß der König sie weggeschickt hatte. Sie hatte, wie ich, ihre Schuldigkeit getan, und er hatte sich unserer entledigt. Ich sehe ihn vor mir, wie er beim Abendessen elegant seinen Arm um die weißen Schultern von Lady Castlemaine gelegt hat; das Kerzenlicht verleiht seinem kleinen Schnurrbart, den er so sorgfältig gestutzt trägt, einen verführerischen Glanz. Er beugt sich zur Castlemaine hinüber und knabbert an dem Smaragdgehänge an ihrem Ohr: »Was weißt du von Norfolk, Barbara?« flüstert er.
»Sehr wenig«, erwidert sie, »außer daß es weit weg von London ist!«
»Sehr richtig!« lächelt der König. »Und deshalb ist es auch so nützlich für mich. Dorthin, siehst du, j'envoie alle diejenigen, die mich zu langweilen beginnen.«
»Nun«, sagte ich zu Pearce, als ich mich im Studierzimmer zu ihm setzte, »ich glaube, ich weiß jetzt genau, was geschehen ist. Meine große Befürchtung ist nun, daß Celia glaubt,
ihr Leben sei zu Ende. Ich glaube nicht, daß sie je darüber hinwegkommen wird.«
Pearce (und das ist eine seiner Angewohnheiten, die mir schon seit unserer Studienzeit auf die Nerven gehen) schaute nicht einmal von seinem Buch auf, sondern las einfach weiter, so als hätte ich gar nicht den Raum betreten, geschweige denn etwas gesagt. Ich wartete. Manchmal regt mich Pearce dermaßen auf, daß mich, wäre ich der König, nichts davon abhalten könnte, ihn nach Norfolk zu schicken.
»Pearce«, sagte ich, »hast du gehört, was ich gesagt habe?«
»Nein«, sagte Pearce. »Das habe ich nicht. Ich nehme an, daß es eine Bemerkung über das schwere Los deiner Frau war.«
»Ja, das ist richtig.«
»Nun, dem habe ich nichts hinzuzufügen. Narren, wie du einer geworden bist, und Kurtisanen wie sie bekommen unweigerlich nach dem Abklingen des heiteren oder leidenschaftlichen Peitschenhiebs auch noch die Geißel der Peitsche zu spüren.«
Ich seufzte. Ich wollte etwas sagen, was Pearce von weiteren derart konfusen, metaphorischen Äußerungen abhalten würde, doch er nahm das kleine Buch, in dem er gerade gelesen hatte, und fuchtelte damit vor meinen Augen herum.
» Das ist interessant!« erklärte er. »Über die kartesianische Frage der spontanen Entstehung: ›Denn wenn die Entstehung der niederen Arten nicht spontan geschieht, vermiculus unde venit? Woher kommt dann die Made?‹«
Ich stand auf. »Es tut mir leid, Pearce«, sagte ich, und meine Stimme klang spröde und kühl, »aber ich sehe mich nach all dem, was heute geschehen ist, außerstande, mit dir
in eine Diskussion über Maden zu treten. Ich gehe jetzt und spiele noch auf meiner Oboe, bis es Zeit ist, schlafen zu gehen.«
Damit verließ ich den Raum und ging zu meinem Musikzimmer. Ich will Euch die Einzelheiten meines Kampfes mit dem Instrument an jenem Abend ersparen, und ich will auch nichts über die großen Mengen
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