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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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alles, was er noch sagte.
    »Nun gut«, sagte ich. »Laß uns in den Garten gehen und eine Amsel suchen und ihrem kläglichen Gesang lauschen, und du wirst sehen, daß du dich irrst.«
    »Wie du willst«, meinte Pearce, »aber ich möchte dich darauf aufmerksam machen, daß Winter ist; um diese Jahreszeit singen Vögel nicht gerade viel.«
    »Da hast du einen weiteren Beweis dafür, daß es kein englischer Vogel ist. Du hast ja gerade sein schönes Trillern gehört.«
    »Er hat seine Umgebung allem Anschein nach für ein Blumenbeet gehalten.«
    Ich lächelte Pearce an. Das, was als Beleidigung für mein grellbuntes Zimmer gedacht war, machte mir im Grunde genommen Freude. Pearces Kritik an mir hatte nicht zwangsläufig die demütigende Wirkung, die so unermüdlich angestrebt wurde.
    Wir zogen unsere Mäntel an (der von Pearce war so unglaublich schäbig, daß mich ein Schauer des Mitleids durchlief) und gingen hinaus in den Dezembermorgen, den der Frost mit zarten Filigranen ausgeschmückt hatte und der in der trockenen, eisigen Luft funkelnd und schweigend dalag.
    Wir blieben stehen und lauschten. Etwas weiter unten im Park kreisten und krächzten über den Buchen Saatkrähen; sonst war kaum ein Laut zu hören. »Laß uns ein wenig die Auffahrt hinuntergehen«, schlug ich vor, und wir machten uns in Pearces gemächlichem Schrittempo auf den Weg. Ich glaube, Pearce würde auch dann noch Abstand davon
nehmen, seinen Gang zu beschleunigen, wenn Gott selbst plötzlich mit offenen Armen vor ihm stünde; selbst seinem Schöpfer würde er in seinem gewohnt gemessenen, linkischen Schritt gegenübertreten.
    Nachdem wir eine kurze Wegstrecke gegangen waren, wurde die eisige Stille plötzlich, völlig unerwartet für mich, von Klappern und Klingeln unterbrochen. Es waren die Geräusche eines Vierspänners. Ich schnappte nach Luft. Das war bestimmt Violet Bathurst, die auf ein Gläschen Glühwein und ein Schäferstündchen zu mir herübergefahren kam, und ich lauschte hier nach Amseln, mit einem Freund, dem ihr Kommen seelische Qualen bereiten würde. Ich wußte, daß ich Violet wegschicken mußte, wenn ich Pearce auf Bidnold halten wollte, ganz gleich, wie betörend der Gedanke an das Zusammensein mit ihr für mich auch sein mochte.
    Als sich die Kutsche näherte, traten wir zur Seite, doch als sie um die Biegung der Auffahrt kam, sah ich gleich, daß die schönen vorgespannten Grauschimmel nicht Violets Pferde waren. Ich erwartete keine Gäste und konnte mir nicht vorstellen, wer in einem solchen Galopp auf mein Haus zukam.
    Ich streckte einen Arm vor, und der Kutscher (der an meiner vornehmen Kleidung in mir den Herrn von Bidnold erkannt hatte) versuchte, die Pferde zu zügeln. Doch sie waren in einem solchen Galopp, daß sie erst zum Stehen gebracht werden konnten, als sie und die Kutsche schon an mir vorbei waren. Ich konnte daher nur einen flüchtigen Blick auf das Gesicht einer Frau, das in einen schwarzen Schleier gehüllt schien, am Fenster der Kutsche werfen.
    Die Kutsche war nun am Haupteingang angekommen. Mit Pearce, den ich wie den Geist des vertriebenen John Loseley im Gefolge hatte, rannte ich zum Haus und rutschte un
glücklicherweise in meiner Hast und Eile auf einer eisigen Stelle in der Auffahrt aus, so daß ich auf höchst demütigende Weise hinfiel und mir meine pfirsichfarbenen Strümpfe zerriß und die rechte Hand aufschürfte.
    Ich kam wieder auf die Füße und stolperte weiter. »Heda!« rief ich. »Hallo!« Doch als ich schnaufend und mit gerötetem Gesicht an meinem Eingang ankam, sah ich, daß die Frau aus der Kutsche schon ins Haus gegangen war und meine Lakaien dabei waren, große Kisten und Schrankkoffer hineinzutragen.
    Sehr verärgert sah ich, daß meine Hand blutete. Ich ging in die Halle meines Hauses. Nach dem strahlenden, kalten Sonnenlicht draußen kam es mir sehr dunkel darin vor, und zunächst einmal konnte ich überhaupt nichts erkennen. Dann blickte ich nach oben. Auf der Eichentreppe stand die Frau mit dem schwarzen Schleier. Ihre Haltung kam mir seltsam bekannt vor, und als sie eine Hand hob und ihren Schleier zurückwarf, wußte ich schon, welches Gesicht ich sehen würde. Das Gesicht meiner Frau!
    Wir starrten uns an. Und ihr starrer Blick war – ungeachtet meiner knallroten Wangen und meiner über die Augenbrauen gerutschten Perücke – weitaus schrecklicher als meiner. Sie schien vorzeitig gealtert zu sein. Ihr schmales Gesicht, das ich als sehr hübsch, mit Grübchen, in

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