Zeit der Sinnlichkeit
eifriger Spucke sagen, mit denen ich Rohrblatt um Rohrblatt sättigte. Ich will nur berichten, daß ich mich mindestens eine Stunde lang mit einfachen Tonleitern abmühte, wonach meine aufgeschürfte Hand so schmerzte, daß ich mich auf den Boden des Musikzimmers legte und sie, die Knie an die Brust gezogen, zwischen meine Oberschenkel nahm; in dieser kindlichen Stellung fiel ich dann in einen unruhigen Schlaf.
Als ich kalt und steif aufwachte, meine Hand geschwollen und starr wie in einem verfrühten rigor mortis , erkannte ich an dem grauen Licht, das ins Zimmer fiel, daß die winterliche Morgendämmerung über Norfolk, der Grafschaft der Exilierten, hereingebrochen war. Trotz der Taubheit und Schmerzen fühlte ich mich beim Erwachen tatenlustig und voller Entschlußkraft. Ich mußte sofort zu Celia. Ich mußte ihr klarmachen, daß ich, wenn ich auch ein Fremder für sie war und sie mein Äußeres ablehnte, gelegentlich ein Mensch großzügiger Gesinnungsart sein konnte, und daß ich, aller Hoffnung auf Dank und Belohnung abschwörend, damit zufrieden sei, ihr Beschützer zu sein und ihr mit Achtung und Freundlichkeit zu begegnen, solange sie auf Bidnold weile.
Ich ging zu meinem eigenen Zimmer hinauf, wo ich meine Kleider und Perücke wechselte. Noch rührte sich keiner der Diener. Ich sah auf der hübschen Uhr, die mir der König geschenkt hatte, daß es nicht ganz sechs Uhr war. In mei
nem Kamin war noch ein wenig Glut, und ich versuchte, meine abgestorbene Hand ein wenig zu wärmen, bevor ich mich über die kühlen Gänge auf den Weg zum Tageteszimmer machte.
Vor Celias Tür blieb ich stehen. Ich hörte einen leisen, kläglichen Ton, den ich zuerst für Weinen hielt, doch dann merkte ich alter Narr, daß es das Winseln des Spaniels war. Minette, Minette, dachte ich. Ich trauere um dich. Du liegst im Park begraben, und das Wild mampft das Gras über dir … Aber das war wirklich nicht der richtige Augenblick für Selbstmitleid, und so klopfte ich denn mit fester und entschiedener Hand an (meiner linken Hand, da die andere jetzt von einem plötzlichen und unerträglichen Prickeln und Kribbeln befallen war) und wartete.
Es dauerte einen Augenblick, und dann rief eine unbekannte, fremdländisch klingende Stimme, ohne Zweifel Sophias, ärgerlich: »Wer ist da?«
»Sir Robert. Kann ich bitte Lady Merivel sprechen?«
Der Hund kratzte jetzt an der Tür. Die Frau schien ihn heftig zur Seite zu stoßen, ehe sie antwortete: »Meine Herrin schläft noch. Geht bitte weiter.«
»Nein«, sagte ich. »Ich werde nicht gehen. Bitte weckt meine Frau. Ich muß ihr eine wichtige Mitteilung machen.«
»Nein!« zischte Sophia. »Meine Herrin schläft!«
»Sie kann später schlafen. Ich muß sie unbedingt jetzt sprechen.«
Ich hätte beinahe hinzugefügt, daß ich in ebendiesem Augenblick sehr viel Mitleid für Celia empfand, daß es aber nun einmal in der Natur von Stimmungen und Gefühlen lag, daß ich nicht versprechen konnte, in mir noch genausoviel Güte vorzufinden, wenn man mich zwang, zu einem späte
ren Zeitpunkt wiederzukommen. In diesem Augenblick ging die Tür auf. Die Dienerin stand in ihrem Nachtgewand und in ihrer Spitzenhaube vor mir. Ich sah jetzt, daß ihre Haut fahl und ihre Oberlippe ungewöhnlich behaart war. Sie mußte eine aus dem großen Gefolge portugiesischer Frauen sein, die mit Katharina von Braganza nach England verschifft worden waren und von denen sich viele gezwungen gesehen hatten, außerhalb des Haushalts ihrer geliebten Königin in Dienst zu gehen; die Galane in Whitehall nannten diese Frauen bissig nach ihren seltsamen Reifröcken, unter denen sie ihre stämmigen Beine verbargen.
Diese Sophia schaute mich nun, als ich an ihr vorbei ins Zimmer ging, voller Abscheu an. Du wirst nicht lange bleiben, Reifrock, dachte ich im stillen, denn ich bin hier der Herr im Hause.
Ich muß allerdings erzählen, daß ich mich in der Szene, die dann folgte (ich spreche absichtlich von einer »Szene«, denn ich finde den nicht gerade originellen Gedanken, daß mein Leben seit meiner Hochzeit so etwas wie eine Farce geworden war, immer wieder bestätigt), bedauerlicherweise überhaupt nicht als Herr der Lage zeigte, so daß ich auf die erbärmlichste Art und Weise beleidigt und beschimpft wurde. Folgendes geschah:
Celia war nicht im Bett, wie der Reifrock behauptet hatte, sondern saß vollkommen angezogen in ihrem schwarzen Gewand auf den orangefarbenen und grünen Kissen des Sitzes unterhalb des Fensters
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