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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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der Kehle brannte, und dann schlief ich eine Stunde auf einer harten Wandbank. Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich hungrig, und man brachte mir ein höchst merkwürdiges Essen: eine mit Starenfleisch gefüllte Teigtasche und einen in Oliven eingelegten Schweinefuß. »Stare«, sagte die hübsche Maid, die mich bediente, »kurieren mit ihrem dunklen Fleisch und kräftigen Geschmack alle Männer, die Trübsal blasen«, und ich merkte wirklich nach dem Essen, daß meine Gedanken vernünftiger wurden. Entweder hatten die Stare wirklich einen Stimmungsumschwung bewirkt, oder aber die starke Wirkung der Tropfen des Kö
nigs begann nun endlich abzuflauen. Als ich die Schenke verließ, war die Straße in schönstes Wintersonnenlicht getaucht. Ich bin sehr wetterfühlig. Bei einem Norfolk-Wind habe ich manchmal das Gefühl, daß mein Verstand davongeblasen wird. Da meine gute Laune durch die Staren-Tasche und die Nachmittagssonne wiederhergestellt war, faßte ich den Entschluß, mich auf den Weg zu Rosie Pierpoints Haus zu machen. Um Pierpoints mageren Lohn als Kahnfahrer etwas aufzubessern, hatte sich Rosie im Jahr 1661 als Wäscherin niedergelassen. Ich hoffte nun, sie zwischen ihren Faltenplätteisen und Stärkebottichen und ihrem großen Kohleofen anzutreffen. Sollte ich sie nicht dazu überreden können, mich ihr Ding berühren zu lassen, dann würde ich mich damit zufriedengeben, von ihrem Fenster aus den Sonnenuntergang zu beobachten, während sie mein Hemd wusch und die Wachtelflecken aus meinen Rocktaschen entfernte.
    Sie war zu Hause und arbeitete schwer. Die Hitze in ihrem Arbeitsraum war so groß, daß sie sich bis aufs Mieder ausgezogen hatte. Ihre weichen Arme waren feucht und rosa – von einem so hübschen Rosa, daß ich ebendiese Farbe liebend gern einmal auf meiner Palette hinbekommen würde. Noch als ich mich Rosie näherte und sie ihr Plätteisen oben auf den Ofen stellte und wir uns mit rechter Freude umarmten, mußte ich daran denken, daß ich einmal auf einem berühmten Gemälde einen Cherub in der Farbe von Rosies Armen gesehen hatte, und ich fragte mich, bei welcher Gelegenheit es dem kleinen Kerl in seinem geflügelten Dasein so heiß geworden war.
    Was nun folgte, war äußerst süß und köstlich und brachte mir erneut zu Bewußtsein, daß es auf Erden wohl kaum etwas Erfreulicheres gibt als das Wiedersehen von Liebenden
nach einer Trennung. Dem seelischen Wohlbefinden, hervorgerufen durch den Akt des Vergessens, wird noch der Balsam der schönen Erinnerung hinzugefügt. Während der Verstand das allgegenwärtige Todesbewußtsein verbannt, schwelgt der Körper im Wiederfinden. Ich glaube nicht, daß es verstiegen ist zu behaupten, solche Wiedersehen seien sowohl Akte des Vergessens als auch Akte des Sich-Erinnerns.
    Ich blieb bis Sonnenuntergang bei Rosie. Wir lagen auf einem zerknitterten Haufen befleckter Laken, Hemden, Unterröcke, Spitzenkragen und Tischtücher und hielten auf dieser schmutzigen Wäsche ein herrliches Festgelage miteinander, ein Festgelage, von dem ich vielleicht noch als alter Mann in meinem sauberen, einsamen Bett träumen werde.
    Schließlich standen wir auf. Rosie zündete zwei Kerzen an, und bei diesem schwachen Licht würde sie nun an ihrem Bügeltisch arbeiten, bis Pierpoint heimkam und sie ihr Abendessen aus Wellhornschnecken, Austern, Brot und Ale einnahmen.
    Und ich machte mich auf den Weg zum Hydes-Kai in Southwark, wo ich eines der Ruderboote mit Plane mietete und den Schiffer, der ein verschlagenes, boshaftes Gesicht hatte, bat, mich nach Kew zu fahren.
    »Kew ist ganz schön weit weg«, sagte der Schiffer, »und bis wir ankommen, Sir, ist es stockduster.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich, »aber mein Tag und der größte Teil der letzten Nacht haben mich dermaßen in Hitze gebracht, daß mir viel daran liegt, die Kühle des Flusses zu spüren.«
    »Wie sollen wir in der Dunkelheit die Fahrrinne finden, Sir, und nicht in seichte Stellen geraten oder von einem Leichter oder einer Barke zersplittert werden?«
    »Wir haben Dreiviertelmond«, meinte ich zu ihm, »und es ist keine Wolke am Himmel. Wir werden unseren Weg ganz gut finden.«
    »Bis wir dort sind, sind wir so kalt wie Leichen!«
    Es war mir inzwischen klargeworden, daß der Fuchs (wie ich den Schiffer insgeheim taufte) keine Lust hatte, diese Fahrt mit mir zu unternehmen, doch es fiel mir ein, daß man in dieser neuen Zeit die meisten Dinge durch Bestechung haben konnte, und so bot ich ihm den

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