Zeit der Sinnlichkeit
mich plötzlich an meine Malversuche erinnert und an den wil
den Taumel, den sie stets in meinem Gemüt auszulösen scheinen, und ohne daß ich es eigentlich will, erzähle ich dem König von meinem Wunsch zu malen, das Wesen der Menschen und der Natur einzufangen, »bevor sich alles auflöst oder verändert, denn seht Ihr, Sir, alles auf dieser Welt, so scheint es mir jedenfalls, befindet sich in einem Zustand ständiger Bewegung, sogar unbelebte Dinge, weil sich das Licht auf ihnen ändert oder weil das Auge das, was es gestern noch wahrgenommen hat, heute schon anders sieht …«
Ich fasele weiter. Der König sagt nichts, sondern arbeitet methodisch und ohne Eile an seiner Sektion, bis alles – Herz, Lunge, Milz, Luftröhre und Samensäcke – ausgebreitet vor uns liegt. Ich erzähle von meinem Bild von meinem Park und wie sehr Finn es verabscheut. Ich versuche, das Bild zu beschreiben, höre mich aber statt dessen mit einer Stimme, die nicht mehr mir, sondern Pearces wurmgefüllter Geisteskranken zu gehören scheint, über die Gefühle reden, die mich zum Malen getrieben haben: meine schreckliche Angst, daß der König mich verlassen hat, mich nicht mehr liebt oder meiner Gesellschaft nicht mehr bedarf. »Ich war Euer Narr«, höre ich mich jammern, »und Ihr könnt mir nicht sagen, daß der König, wie ernst auch seine Regierungsgeschäfte sein mögen, kein Lachen braucht!«
Ich weine wieder. Tränen strömen mir übers Gesicht und tropfen auf die Kröte auf dem Tablett, über der mein Körper dann, da ich mich auf einmal hundemüde fühle, zusammensinkt.
Ich sehe die Hände des Königs, die nun die Instrumente weglegen. Er nimmt ein Tuch und wischt sich damit das Blut und die Eingeweide von den Fingern. Und dann verliere ich ihn. Ich weiß nicht, was weiter geschah, höre mich nur un
aufhörlich reden, mit dem König, wie ich annehme, der nicht mehr in meiner Nähe, sondern irgendwo in dem schattenhaften Laboratorium ist und auf und ab geht, wie er es immer tut, ruhelos und groß und niemals still … aber er ist gar nicht da. Ich bin allein an diesem Ort. Er ist in die Sonne hinausgegangen, und ich liege im tiefen Dunkel, unter der Werkbank aus Eichenholz. Ich bin im Grab.
Ich werde von einem älteren Mann geweckt, der wie ein Apotheker gekleidet ist. Ich habe furchtbaren Durst. Der alte Mann versteht das und reicht mir einen Becher mit kühlem, wohlschmeckendem Wasser.
Man bringt mir Essen. Ich werde an einen kleinen Tisch gesetzt. Ich esse ein wenig Brot. Ein Diener in Livree überreicht mir einen Brief.
Ich bin im Heilkräutergarten. Ein strahlender Himmel über mir. Ich breche das Siegel meines Briefes auf.
»Armer Merivel (heißt es in dem Brief), ich hatte Euch nicht gewarnt, daß die Tropfen des Königs mit der Kraft der Alchimie Geheimnisse zu Worten werden lassen. Dennoch habt Ihr mir nichts verraten! Denn alles, was Ihr mir offenbart habt, hatte ich schon von Eurem Gesicht abgelesen. Doch hütet Euch, daß Eure Liebe nicht zum Bedürfnis wird! Und so geht denn mit den besten Segenswünschen auf Eure Mission zu Celia. Ich möchte, daß sie für die Dauer von zwei Monaten über Unser Mißfallen nachdenkt, danach darf sie, falls sie voller Demut ist, nach Kew zurückkehren, wo Wir sie dann besuchen werden.
Gezeichnet, Charles Rex«
Ich sehe auf die Sonnenuhr. Ich würde so gern zum König sagen: »Laßt mich meinen Auftritt wiederholen! Laßt mich noch einmal zu Euch kommen, aber mit dem Wissen, das ich jetzt über die Tropfen habe.« Doch er ist natürlich nicht mehr da.
Wasser
I ch hielt mich nicht lange in Whitehall auf.
Zwar war ich von einer Schar Galane, in deren Kammern ich mich einstmals mit Karten- und Pfänderspielen und Musizieren vergnügt hatte, herzlich begrüßt worden, fühlte mich aber für ihre Gesellschaft nicht in der richtigen Stimmung. Ich hatte unerträgliche Kopfschmerzen, und die Gedanken, die mein Verstand formte, wirkten mehr wie Träume. Ich hatte ein schreckliches Verlangen, mich hinzulegen, nicht unbedingt, um zu schlafen, sondern einfach nur, um meinen Kopf auszuruhen. Gern wäre ich zu jenem ersten Zimmer gegangen, wo ich die Heilung-durch-Vernachlässigung an Lou-Lou durchgeführt hatte, und hätte dort eine saubere Nachtmütze aufgesetzt, mich auf die weichen Kissen gelegt und dem großen Flußkonzert gelauscht.
Zur Abendessenszeit war ich in der »Leg Tavern«, wo ich reichlich Ale trank, um den Durst zu löschen, der mir noch immer in
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