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Zeit der Sinnlichkeit

Zeit der Sinnlichkeit

Titel: Zeit der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Flußratte: »Man sagt, der König habe in Kew eine Mätresse und ihr Schiffer seht ihn manchmal, wie er sich den Fluß hinaufschleicht, um sie zu besuchen. Ist da etwas Wahres dran?«
    Der Fuchs spuckte ins Wasser.
    »Ich habe ihn einmal gesehen«, sagte er.
    »Seid Ihr sicher, daß er es war?«
    »Jawohl!«
    »Wie könnt Ihr das sein?«
    Der Fuchs spuckte wieder aus. Vielleicht war er ein Puritaner und Commonwealth-Anhänger.
    »Es war früh«, fuhr er fort, »noch vor der Morgendämmerung, wenig los auf dem Fluß. Ich, Sir, ich auf dem Weg mit Kirschen aus Surrey zu Händlern in Blackfriars. War noch nicht ganz hell. Vier Uhr früh im Sommer. Und ich sehe dieses schmale Skiff mit einem sehr großen Mann in einem schönen goldenen Rock, und ich sage laut: ›Da gibt's nur einen solchen Mann im Königreich, nur einen!‹«
    »Habt Ihr gewartet und ihn beobachtet? Habt Ihr gesehen, wo er anlegte?«
    »Mehr noch, Sir. Ich habe ihm ein paar Kirschen verkauft.«
    »Ja? Dann habt Ihr sein Gesicht ganz aus der Nähe gesehen, und er war es wirklich?«
    »Er, jawohl. Gab mir 'nen Penny fürs Obst aus einer kleinen Börse mit Juwelen drauf.«
    »Und Ihr saht ihn anlegen?«
    »Ja.«
    »Könnt Ihr mir die Stelle zeigen?«
    »Nicht im Dunkeln, Sir.«
    Ich räusperte mich. »Mein lieber Mann«, sagte ich. »Wie ich es ja schon vorausgesagt hatte, ist es überhaupt nicht dunkel mit diesem vollen Mond am Himmel.«
    »Ziemlich dunkel, Sir.«
    »Wie auch immer, bitte seid so gut und versucht, Euch an die Stelle zu erinnern, und zeigt sie mir.«
    Wir glitten weiter. Mein Gesicht, das so viele Stunden geglüht hatte, war jetzt kühl, und meine Hände fingen an, ein wenig gefühllos zu werden. Doch wenn auch mein Körper kalt war, so fühlte ich mich doch innerlich heiß und erregt vor Angst und Bangigkeit. Gleich würde ich Celias Haus sehen. Und wenn wir umkehrten und gegen den Wind und die Gezeiten zurückfuhren, dann mußte ich einen Entschluß fassen …
    Ich wies den Fuchs an, das Nordufer anzusteuern und langsamer zu fahren. Dann erbot ich mich, die Ruder zu übernehmen, damit er sich auf das Sich-Erinnern konzentrieren konnte, aber er wollte mir nicht (vernünftigerweise) etwas anvertrauen, was für seinen Lebensunterhalt so wichtig war, und teilte mir daher mit, daß er mit verbundenen Augen von hier nach Spitalfields rudern könne, wodurch er sich in Widerspruch setzte zu seinem Geplänkel über verlorene Fahrtrichtungen und Zusammenstöße mit Leichtern, mit denen er mir zwei Extra-Shilling abgeschwatzt hatte. Doch da ich von ihm abhängig war, konnte ich es mir nicht leisten, ihm meinen Ärger zu zeigen. Schweigend glitten wir weiter übers Wasser, kehrten einmal um und fuhren die gleiche Strecke etwa hundert Fuß am Ufer entlang zurück, setzten dann die Fahrt fort, bis der Fuchs schließlich in dem kalten, glitzernden Licht einen kleinen Holzlandungssteg erspähte, zu dem Stufen aus dem Wasser herausführten.
    »Da ist die Stelle«, sagte er, »dort wohnt sie!«
    »Aha«, meinte ich, »aber da ist kein Haus.«
    Der Fuchs zuckte mit den Schultern. »Doch, da ist es«, sagte er.
    Ich ließ ihn am Landungssteg festmachen. Mit einiger Mühe kletterte ich aus dem kleinen Boot, das heftig zur Seite
kippte, als ich aufstand, und ging über den Landungssteg. Durch eine hübsche schmiedeeiserne Pforte gelangte ich auf einen schmalen Weg, der zwischen niedrigem Gebüsch, wohl Hasel- und Hagedornsträuchern, verlief. In diesem Augenblick verschwand der Mond hinter einer Wolke, so daß es plötzlich stockdunkel um mich herum wurde. Ich blieb stehen und wartete auf das Wiederauftauchen des Mondes. Obwohl ich hinter mir noch immer das Anschlagen des Wassers hörte, hatte ich einen Moment das Gefühl, mich verlaufen zu haben.
    Vorsichtig ging ich weiter, fühlte die Nacht um mich herum – das Trippeln eines Tiers im toten Laub – ein Nachtvogel, der einen kleinen Krächzer ausstieß.
    Und dann hörte ich Musik.
    Gleich darauf, als die Wolken wieder den Mond freigaben, fand ich mich in einem kleinen verwilderten Garten wieder, und vor mir stand das Haus. Es war weder großartig noch groß. Aus der Größe seiner Fenster zu schließen, schienen auch die Haupträume eher bescheiden zu sein. So ein kleines Haus, war mein erster Gedanke, würde ich meiner Tochter geben, wenn ich eine hätte. Aber ich konnte mich nicht lange bei meinen Gedanken über seine Größe aufhalten, denn ich bemerkte nun, daß einer der Räume, aus dem Cembalo-

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