Zeit der Sinnlichkeit
und Flötenklänge drangen, voller Leute war. Er war von Lampen und Kronleuchtern hell erleuchtet. Auf dem Sitz am Fenster räkelte sich ein Mann, den Arm um den Hals eines hübschen Frauenzimmers geschlungen. Offensichtlich war ein Abendessen mit Musik in vollem Gange. Während ich heftig atmend dastand und versuchte, meine Hände durch Aneinanderreiben zu wärmen, drang plötzlich Gelächter an mein Ohr.
Den ganzen Weg zurück nach Lambeth (wo ich die Nacht in einem Gasthaus namens »Old House« verbringen wollte) plagte ich den Fuchs, indem ich immer wieder zu ihm sagte, daß er sich geirrt haben müsse. »Entweder«, sagte ich, »war es nicht der König, den Ihr gesehen habt, oder aber es war ein anderer Steg, an dem er angelegt hat.« Doch seine fuchsartigen Gesichtszüge waren hart und unbeirrbar, ebenso wie sein Kopf, wie er mir mitteilte. Er konnte sich noch gut an die Leichtigkeit und Grazie erinnern, mit der der König sein Skiff angebunden hatte und herausgeklettert war (»als wäre er selbst ein Schiffer, Sir«), und er blieb dabei, daß es stromaufwärts innerhalb der nächsten halben Meile oder auch mehr keinen ähnlichen Landungssteg gebe.
Im »Old House« speiste ich gut zu Abend und kam mit einem sympathischen Mann vom Marineamt über die Kunst des Marmorschneidens ins Gespräch. Er erzählte mir, daß die Existenz eines Marmorschneiders voll und ganz von seiner Geduld abhänge, denn er könne mit seinem kleinen Werkzeug nur vier Zoll am Tag schneiden, obgleich die Steinmasse, die er vor sich hat, vielleicht die Größe eines Himmelbettes habe.
Während ich noch über diese Unbeirrtheit und Ausdauer nachdachte und mich fragte, ob ich je so viel für meine Malerei aufbringen würde, fiel mir plötzlich siedendheiß ein, daß ich Violet Bathurst versprochen hatte, ebendiese Nacht in ihrem Bett zu verbringen.
Ich träumte von einer Wasserleiche. Ich war mit Pearce und einer Gruppe Medizinstudenten in den Granchester Meadows, und wir saßen am Ufer des unkrautbewachsenen Cam, als dieser träge Leichnam bei uns angeschwemmt wurde.
Wir hatten nur den einen Gedanken: Wir müssen den Körper für unsere anatomischen Studien bergen. Wir zogen unsere Röcke aus, legten uns auf den Bauch und griffen nach den aufgedunsenen Gliedern und hielten sie fest. Und dann bemerkte ich, daß es Celias Körper war. Ihr Haar trieb im Tang, und ihre Lippen waren bläulich und standen offen wie ein Fischmaul. Ich wollte gerade meinen Kommilitonen zurufen, daß sie die Arme und Beine loslassen sollten, als ich aufwachte. Ich zitterte, hatte Halsschmerzen, meine Nase war voller Schleim, und ich war wieder sehr durstig.
Ich zündete eine Kerze an und stolperte in dem fremden Zimmer des »Old House« zum Waschstand. Dort trank ich ein wenig Wasser, ging dann wieder zu Bett und versuchte, warm zu werden, aber der Traum von der ertrunkenen Celia hatte mich so entsetzt, daß ich Angst davor hatte, wieder einzuschlafen, weil er dann vielleicht wiederkommen würde, wie Träume das schrecklicherweise zu tun pflegen.
»Gott ist der Arrangeur aller Träume«, hatte Pearce mir einmal verkündet. »Er schickt dem schlafenden Bewußtsein alles, was wir vernachlässigt haben.« – »Dummes Zeug, Pearce!« hatte ich damals erwidert. »Ich träume meist vom Essen. Meine Nächte sind voll von so erfreulichen Dingen wie Kaninchenfrikassees, Wildpasteten und Schokoladengerichten, und ich habe nichts davon auch nur im geringsten vernachlässigt.« Wenn ich mich recht erinnere, erwiderte Pearce darauf beißend, daß Gott mir eine Vision meiner eigenen Völlerei geben wolle, doch das ignorierte ich. Jetzt aber schien mir der Gedanke, daß mir dieser Traum vom Ertrinken »geschickt« worden war, völlig einleuchtend zu sein. Denn der Anblick von Celias Haus mit den vielen Leuten und der Musik (das war ja gerade so, als sei das arme
Mädchen tot und alle Erinnerung an sie mit ihr untergegangen) hatte mich so verwirrt und entsetzt, daß ich es »vernachlässigt« hatte zu entscheiden, was ich ihr sagen wollte, und auch mein Gespräch über das Marmorschneiden hatte dazu beigetragen, daß ich alle Gedanken an sie verdrängt hatte.
So lag ich denn da, zitterte und gab mich dem Schüttelfrost hin, der mich so plötzlich befallen hatte, und versuchte, die ganze Angelegenheit abzuwägen, ganz uneigennützig, auf distanzierte und angemessene Art, so, als sei Celia meine Patientin und ich nicht ich, sondern ein weiser Fabricius, ein Arzt
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