Zeit der Sinnlichkeit
Entdeckung etwas mit diesem Geruch zu tun hat.
Beim Betreten des Laboratoriums wirft der König seinen Rock auf den Boden. Da sein Chemiker noch nicht an der Arbeit ist, sind wir allein im Raum. Ich hebe seinen Rock auf und halte ihn im Arm, während er die Tische entlanggeht, sich hier etwas ansieht, da etwas untersucht, dort an etwas schnuppert. Einen Augenblick lang scheint er so in die Experimente, die im Gange sind, vertieft zu sein, daß ich mich frage, ob er mich vergessen hat. Doch nach einer Weile bleibt er stehen, nimmt ein Fläschchen mit einer rubinfarbenen Flüssigkeit in die Hand und hält es gegen das Licht.
»Seht Euch das an«, sagt er. »Ein Abführmittel, das ich mir neulich habe patentieren lassen.«
»Ausgezeichnet, Eure Majestät«, sage ich.
»Ja, es ist ausgezeichnet. Aber es ist nicht bloß eine langweilige Arznei, Merivel. Es hat eine Eigenschaft, die ich nicht vorhergesehen habe und die aufschlußreich und amüsant zugleich ist. Wir nennen die Arznei ›die Tropfen des Königs‹. Ich werde jetzt einmal ein paar davon für Euch in einen Schluck Wein träufeln. Und dann werden wir sehen, was geschieht.«
Ich sage nichts. Der König läßt sich vor mir auf einem Schemel nieder und blickt aufmerksam zu meinem Gesicht auf.
»Die Zeit hat Euch verändert, Merivel«, sagt er. »Ein wichtiger Teil von Euch scheint zu schlafen.«
Hierzu weiß ich auch nichts zu sagen.
»Ich sehe das bei sehr vielen meiner Untertanen, es ist gerade so, als zögen sie es vor, nur noch zu sein und nicht mehr zu denken. Legt meinen Rock hin, Merivel!«
Ich lege den schweren, brokatbesetzten Rock zur Seite, wobei mich ein flüchtiger Hauch des lieblichen Parfüms streift, nach dem selbst die Handschuhe und Taschentücher des Königs duften.
»Man muß es wohl als ein Glück für England ansehen – vielleicht auch für Euch, mein lieber Narr –, daß etwas unsere Küsten erreicht hat, das uns möglicherweise alle aus dem Schlaf reißen wird.«
»Was meint Ihr, Sir?«
»Die Pest, Merivel. Die Pestilenz. In Deptford sind vier Leute daran gestorben. Und sie wird sich weiter ausbreiten. Sie wird einige von uns verschonen und andere dahinraffen. Aber wir alle werden aufwachen.«
»Ich habe nichts von der Pest gehört, Sir.«
»Nein. Aber Ihr seid ja auch auf Bidnold. Ihr schlaft in Norfolk! Ihr träumt, Merivel!«
Ich möchte gerade erwidern, daß ich in der Tat von alten Zeiten geträumt und sie mir zurückgewünscht habe, da holt der König ein Spitzentaschentuch aus seiner Tasche und macht sich daran, fast zärtlich die Feuchtigkeit von meinem erhitzten Gesicht abzuwischen.
»Nun aber«, sagt er, nachdem er mein Gesicht abgetrocknet hat, »müssen wir über Mistress Clemence, Eure Frau, sprechen. Deshalb habe ich Euch hergebeten, Merivel. Wie ich Euren Charakter einschätze – und ich hoffe, mich da nicht zu täuschen –, glaube ich, daß Ihr, wie schon einst Euer Vater, ein Mann seid, der die Stellung, die er durch Glück und Gunst, und nicht nur durch eigenes Verdienst, erreicht hat, würdigt und akzeptiert, und daß Ihr sie nicht gefährden werdet, indem Ihr nach Dingen giert, die Ihr nicht haben könnt. Ihr habt viel bekommen, Merivel, nicht wahr?«
»Ja, Euer Majestät.«
»Und wenn ich auch fürchte, daß Ihr träge geworden seid, so bringt Ihr Euch doch wohl nicht selbst zur Verzweiflung, indem Ihr nach mehr verlangt, n'est-ce pas? «
»Nein …«
»Oder doch? Wollt Ihr jetzt ein Herzogtum von mir?«
»Nein, nein. Bei meiner Ehre.«
»Gut. Übrigens, seht Euch die Kröte dort in dem Kugelglas an. Helft Ihr mir später, sie zu sezieren?«
Ich blicke in die Richtung, in die der König deutet, und sehe eine ehrfurchtgebietende Riesenkröte, die starr und aufgedunsen vom Tode ist.
»Wenn Ihr das wünscht, Sir«, sage ich.
»Ja, das wünsche ich. Nun hört gut zu, Robert. Ich habe
Celia gewissermaßen mit Euch verheiratet, um sie vor dem klugen Blick der Lady Castlemaine zu verbergen, sie dafür aber selbst nur um so leichter zu finden und mich unbeobachtet mit ihr verlustieren zu können.«
»Das weiß ich, Euer Gnaden.«
»Sehr gut. Dann könnt Ihr Euch wohl meine Bestürzung, nein vielmehr meinen Zorn vorstellen, als ich von den Lippen Eurer Frau die Forderung vernahm, meine Affäre mit der Castlemaine ebenso wie meine Liebschaften mit gewissen Schauspielerinnen zu beenden und sie zu meiner einzigen Frau außerhalb des Bettes meiner lieben Königin zu machen. Natürlich habe ich
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