Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Freund Patrick, hatte Laura ihn im Stillen getauft, in Anlehnung an «Mein Freund Harvey», den imaginären Hasen. Immerhin war Patrick kein imaginärer Hase, sondern ein offensichtlich sehr lebendiger junger Ire.
Trotz Lauras Gegenwehr schien ihre Tochter nur noch zu höchstens vierzig Prozent anwesend zu sein, der Rest bewegte sich im virtuellen Raum zwischen London und München.
«Ja, in drei Wochen lerne ich ihn endlich kennen», murmelte Laura, griff wieder nach ihrer Gabel, spießte einen Tortellino auf und steckte ihn in den Mund.
«Ich bin sicher, dass du ihn total magst, Mama. Sogar Luca mag ihn, und der ist wirklich schwierig!»
Laura nickte und kaute, spürte dem Geschmack von Ricotta, Spinat, geriebenem Pecorino und Salbei in Buttersauce nach. Wie oft hatte sie diese und ähnliche Sätze in den letzten Wochen gehört? Dutzende, eher Hunderte Male. Die erste Liebe schien bei ihrer Tochter ähnliche Symptome auszulösen wie eine beginnende Demenz bei alten Menschen: die Wiederholung immer gleicher Sätze.
«Wie war’s in der Schule?», fragte sie, um vom Thema Patrick abzulenken.
«Normal.»
«Was heißt normal?»
«Dasselbe wie bei dir, wenn ich dich frage, wie es bei der Arbeit war.»
«Ich verwende das Wort normal höchst selten, weil das leider oder zum Glück bei meiner Arbeit auch selten vorkommt. Hast du nicht eine Englischarbeit zurückbekommen?»
«Nö, die gibt’s erst morgen.»
«Wie geht es deiner Freundin Sara?»
«Gut.»
«Hat sie eigentlich einen Freund?», Laura versuchte die Einsilbigkeit ihrer Tochter zu überhören.
«Hat Schluss gemacht.»
«Wer?»
«Sie.»
«Ah.»
«Sie hat sich was anderes unter einer Beziehung vorgestellt.»
«Ach so? Was denn?»
Sofia strich mit einem Finger über die allmählich fest werdende Buttersauce und leckte ihn ab. Dann warf sie mit einer schnellen Kopfbewegung ihr langes Haar zurück und zog die Nase kraus.
«Kann ich nicht sagen.»
«Weißt du’s nicht, oder willst du’s nicht sagen?»
«Ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, dass er total langweilig war. Jedenfalls finde ich ihn total langweilig. Außerdem geht er in unsere Klasse. Ich würde nie mit einem Jungen aus unserer Klasse gehen.» Sie tauchte ihren Finger ein zweites Mal in die Sauce, betrachtete ihn nachdenklich und sagte schließlich: «Patrick ist überhaupt nicht langweilig. Dem fällt dauernd was Neues ein, und er bringt mich ständig zum Lachen.»
Damit sind wir also wieder bei Patrick, dachte Laura. Schön, dass er nicht langweilig ist.
«Fein», sagte sie laut. «Wir werden ihn im Zimmer deines Bruders unterbringen. Wenn Luca in dieser Zeit hier übernachten will, dann kann er auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen.»
Sofia nickte heftig und leckte weiter die Butter vom Finger. Dann sah sie Laura zweifelnd an.
«Meinst du, dass Luca damit einverstanden sein wird? Es ist immer noch sein Zimmer.»
«Er ist ausgezogen, Sofia. Es war seine Entscheidung. Theoretisch ist es noch sein Zimmer, aber es ist unsere Wohnung. Wir haben kein Gästezimmer, deshalb nutzen wir ab jetzt seines. Ich finde, das ist fair.»
«Ja, vielleicht.»
«Wo würdest du Patrick denn sonst unterbringen, Sofi?»
Sofias Wangen liefen rosig an, und sie biss sich auf die Unterlippe. Am liebsten hätte Laura ihre Tochter in den Arm genommen, denn sie wusste genau, was Sofia sich gerade wünschte und nicht zu sagen wagte. In zwei Monaten war ihr sechzehnter Geburtstag. Hatte sie mit Patrick geschlafen? Möglich. Vermutlich. Seit Weihnachten hatte sie sich verändert, dem ersten Weihnachten, das sie und Luca nicht mit ihren Eltern verbracht hatten, sondern bei Ersatzeltern in England und bei Patrick.
Laura konnte diese Veränderung schwer benennen. Es war mehr eine Ahnung, als hätte die Aura ihrer Tochter sich verändert. Sie wirkte geerdeter und schien gleichzeitig zu schweben. Patrick war so etwas wie ein Leitstern geworden, der sie hinaus ins Leben führte. Sofia träumte sich hinaus und hatte dabei einen realen Bezugspunkt.
Hoffentlich leuchtet er lange, dieser Leitstern, dachte Laura. Wenigstens während der sechs Wochen des Schüleraustauschs.
Sofia stand auf und räumte die Teller in die Spülmaschine. «Ich muss noch Mathe machen. Stell dir vor, Mama, ich hab es echt kapiert.»
«Bravo!»
«Ist es okay, wenn ich in mein Zimmer gehe?»
«Natürlich.»
Sofia war schon an der Tür, zögerte, wandte sich um und kehrte zu Laura zurück.
«Patrick und ich wollen nachher noch
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